28 Tage lang (German Edition)
anderen: Worauf nur wollte unser Anführer hinaus?
«Wir brauchen Leute, die auf der polnischen Seite Waffen besorgen. Die dort permanent leben und mit dem polnischen Widerstand verhandeln.»
Deswegen war ich also hier: Ich sollte aus dem Ghetto weggehen. Auf die andere Seite der Mauer.
«Ich brauche dafür sehr gute Leute», erklärte Mordechai. Er schaute erst Amos an, dann mich, schließlich lächelte er: «Aber leider habe ich nur euch beide.»
Jüdischer Humor. Na großartig.
«Ihr beide», wurde er nun wieder ernst, «habt Erfahrungen auf der anderen Seite, und ihr könntet beide als Polen durchgehen.»
Ich hatte da, was mich betraf, so meine Zweifel: Es war fast ein Jahr her, dass ich im polnischen Teil der Stadt gewesen war. Gut, ich sah zwar nicht so jüdisch aus wie zum Beispiel Esther. Jedoch besaß ich auch nicht wie Amos blonde Haare, sondern lediglich grüne Augen.
Sehnsucht, den anderen Teil von Warschau zu besuchen, verspürte ich auch nicht. Heimat war Heimat. Selbst wenn diese Heimat das Ghetto war. Ich hatte seit der Aktion noch nicht mal mehr von den Lichtern der Großstadt New York geträumt. Das war ein Traum, der in ein anderes Leben gehörte, in ein Leben mit Daniel.
Daniel. Wenn Ben Rothaar hatte überleben können, dann vielleicht auch …
«Mira und ich können ein polnisches Paar spielen», unterbrach Amos meine Gedanken. «Wir haben mit so was Erfahrung, nicht wahr?», lachte er mich an.
Was sollte denn der Mist?, schoss es mir durch den Kopf. Esthers Blick nach zu urteilen, fragte sie sich das auch.
«Dann», lachte Mordechai, «zeigt, was für ein Paar ihr sein könnt.»
«Ein großartiges», legte Amos noch eins drauf.
«Gar keins», rutschte es mir heraus. Das Gerede machte mich zorniger, als es eigentlich hätte tun dürfen.
Mordechai lachte über unsere unterschiedlichen Reaktionen. Esther tat das, was sie immer tat, wenn es um Emotionen ging, sie ging zur Tagesordnung über und erklärte geschäftsmäßig: «Ich werde dafür sorgen, dass die beiden auf die andere Seite gelangen.»
«Gut», sagte Mordechai zufrieden und verabschiedete sich von uns allen mit einer herzlichen Umarmung. Als er gegangen war, standen wir zu dritt in der Küche: Esther. Amos. Ich. Schweigend. Bis Esther leise sagte: «Er hätte mich schicken sollen.»
Da war es raus! Diese starke Frau fühlte sich von mir, einem kleinen Mädchen, ausgebootet.
«Mira hat grüne Augen, du nicht», erklärte Amos sanft und wollte sie dabei in die Arme nehmen. Doch sie wehrte ihn ab und erwiderte, für ihre Verhältnisse regelrecht aufgewühlt: «Ich bin überrascht, dass du überhaupt weißt, was für eine Augenfarbe ich habe.»
Gleich darauf schämte sie sich für ihren Ausbruch und verließ die Küche.
Jetzt waren wir zu zweit. Amos. Ich. Allein.
«Esther liebt mich eben», erklärte er und sagte damit zweierlei. Zum einem, dass er mich für zu dumm hielt, das Offensichtliche zu erkennen, und zum anderen, dass er sie selbst nicht liebte, sonst hätte er ja gesagt: Wir lieben uns.
Eigentlich war er genauso wie Miriam, die mit jemandem, den sie nicht liebte, zusammen gewesen war, ihn sogar geheiratet hatte, weil das besser war, als allein zu sein bis zum Tod.
Nur während ich das bei Miriam gerade noch nachvollziehen konnte, fand ich es bei Amos widerlich, weil er im Gegensatz zu ihr, so war ich jedenfalls überzeugt, zu keiner echten Liebe fähig war. Er nutzte Esther aus, der ich mich kein bisschen mehr unterlegen fühlte. Im Gegenteil: Sie tat mir leid.
Ich wollte auch gehen, doch kurz bevor ich die Küche verließ, drehte ich mich noch mal um und sagte: «Wenn Esther dich liebt, hat sie mein Mitgefühl.»
Beim Herausgehen hörte ich noch, wie er amüsiert «Autsch» sagte.
44
Esther hatte alles für uns genau vorbereitet, was allerdings nicht bedeutete, dass es ungefährlich sein würde, aus dem Ghetto zu gelangen. Amos und ich sollten mit einem Trupp jüdischer Arbeiter das Ghetto verlassen, die im polnischen Teil von Warschau am Okęcie Flughafen arbeiteten und dort auch normalerweise in angrenzenden Baracken lebten. Alle zwei Wochen aber durften diese Arbeiter einen Tag in das Ghetto zurückkehren, und sie nutzten das, um Essen hinein- und Wertsachen hinauszuschmuggeln. Einer der Vorarbeiter dieses Trupps, Henryk Tuchner, ein junger, von der harten Arbeit am Flughafen ausgemergelter Mann mit tiefen schwarzen Ringen unter den Augen, gehörte dem ŻOB an. Er hatte unsere beiden Namen auf die
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