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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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Hose runterzuziehen, und befahl wieder: «Ganz nackt!»
    Ich konnte ihm nicht widersprechen. Die Furcht brach meinen Willen. Ich beugte mich hinab, begann langsam meine linke Socke auszuziehen.
    «Endlich begreifst du es, Schlampe», sagte der SS -Mann.
    Ich sah nicht zu ihm, hörte nur, wie seine Hose mit dem schweren Gürtel zu Boden fiel.
    Ich rollte die Socke von meinem Fußballen ab, gleich würde der Brief zum Vorschein kommen, er würde ihn entdecken, mich vergewaltigen und dann ins Gefängnis werfen … da ging die Tür auf.
    «Was zum Teufel ist hier los, Schaper?», fragte eine tiefe Stimme hinter mir.
    Auch wenn ich nicht allzu viel Deutsch verstand, hörte ich doch so viel heraus, dass dem Mann, dem diese Stimme gehörte, ganz und gar nicht gefiel, was hier geschah.
    «Nichts, nichts …», stammelte der fette Soldat.
    «Deswegen stehen Sie auch ohne Hose da, Schaper.»
    Ich hielt mitten in der Bewegung inne, wagte nicht, mich umzudrehen oder zu atmen, schon gar nicht Hoffnung zu schöpfen. Ich hörte, wie der SS -Mann seine Hose wieder hochzog und der Gürtel dabei klackerte. Jetzt konnte ich nicht anders, als zu hoffen. Ich hörte auf zu weinen und rollte langsam meine Socke wieder hoch.
    «Gehen Sie raus», befahl die tiefe Stimme dem Dicken.
    Das SS -Schwein hastete an mir vorbei. Aus meinem Augenwinkel sah ich, wie er sich beim Verlassen der Wachstube noch den Gürtel zumachte. Und ich hörte das Gelächter seiner Kollegen, als er heraustrat.
    Die Tür schlug wieder zu, ich richtete mich auf, traute mich aber immer noch nicht, den Mann anzusehen, der mich gerettet hatte. Weil ich nicht wusste, ob er mich wirklich gerettet hatte, vielleicht wollte er mich ja auch nur für sich.
    «Du kannst dich umdrehen», sagte der Mann in schlechtem Polnisch, anscheinend war er einer der wenigen Besatzer, die sich die Mühe gemacht hatten, unsere Sprache wenigstens ansatzweise zu erlernen.
    Ich mochte mich ihm nicht zuwenden, hatte aber eine solche Angst, wieder geschlagen zu werden, dass ich es dennoch tat. Dabei bedeckte ich wieder meinen Körper, so gut es ging, mit Armen und Händen.
    Vor mir stand ein Mann, vielleicht Mitte vierzig, in Offiziersuniform und kurzen blonden Haaren unter der Mütze mit dem SS -Totenkopf. Sein Gesicht wirkte müde, was mich beruhigte. So ein müder Mann würde sich nicht an mir vergehen. Hoffte ich jedenfalls.
    «So alt wie meine Tochter», sagte er mehr zu sich selbst als zu mir und wirkte dabei gleich noch viel müder.
    Ich schwieg und zitterte, jetzt wieder mehr vor Kälte und nicht ausschließlich vor Angst.
    «Zieh dich an», sagte der Offizier. Es war kein Befehl, auch nicht eine Bitte. Er wollte mich einfach nur nicht nackt sehen.
    So schnell es ging, zog ich mich an und war nicht nur erleichtert, als meine Unterwäsche wieder meinen Körper bedeckte, sondern fast noch mehr, als ich den Schuh über den Fuß zog, unter dessen Sohle der Brief im Strumpf lag. Die Depesche an den polnischen Widerstand war nicht entdeckt worden.
    Der Offizier sagte nichts weiter, sondern holte nur eine Flasche Wodka oder Korn – das deutsche Etikett auf der Flasche konnte ich nicht genau entziffern – aus dem schäbigen Schrank, öffnete sie und machte sich gar nicht erst die Mühe, nach einem Glas zu suchen, er trank einfach gleich aus der Flasche.
    Wenn ich mich je gefragt hätte, wie die wenigen unter den Deutschen, die in uns Juden doch noch so etwas wie Menschen sahen, das Morden hier ertragen konnten, hätte mir dieser Anblick die Antwort gegeben: nur im Rausch.
    Aber ich hatte mir diese Frage nie gestellt. Und mir war es auch völlig egal, ob einige der Mörder ein schlechtes Gewissen hatten, das sie ertränken mussten.
    Der Offizier nahm einen weiteren tiefen Schluck und forderte mich dann auf: «Geh.»
    Ich hastete zur Tür der Wachstube, die beinahe zu meiner persönlichen Hölle geworden wäre. Gerade wollte ich die Klinke runterdrücken, da befahl der Mann: «Halt!»
    Ich erschrak. Halb erwartete ich, dass er mich jetzt erschießen würde. Das hätte zwar nicht zu seinem vorherigen Verhalten gepasst, aber er war ein Deutscher, und er betrank sich, und es gab auf der Welt nichts Unberechenbareres als betrunkene Deutsche.
    Vorsichtig drehte ich mich um. Der Offizier saß am schäbigen Tisch. Auf dem stand jetzt die Flasche, und daneben hatte er die Mütze mit dem Totenkopfzeichen abgelegt. Er sah mich mit seinen müden Augen an und sagte leise: «Entschuldigung.»
    Wofür? Für

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