281 - Bausteine des Lebens
allen Seiten hin einrahmten.
Ruuk raffte sich auf und trat vor den Palisadenzaun seines Dorfes. Dort, auf der anderen Seite des Sees, sah er die Wachtürme von Teggars Dorf. Sie wurden von innerhalb der dortigen Palisaden offenbar von Fackel- oder Feuerschein angeleuchtet und zeichneten sich gegen den sternenklaren Himmel ab.
Erneut ein Brüllen. Ruuk sah, wie der Lichtschein im Dorf zu wandern schien. Hinter ihm trat der klägliche Rest seines Clans an ihn heran.
»Was geht da vor?«, flüsterte Mecdoof. »Opfern die etwa um diese Zeit dem Bewahrer?«
Ruuk spie verächtlich aus und wandte sich an die anderen. »Wir werden es herauszufinden. Indem wir bei Teggar um Asyl bitten.«
Die kleine Gruppe war wenig begeistert.
»Mir gefällt das genauso wenig wie euch«, grollte Ruuk. »Aber uns bleibt vorerst nichts anderes übrig. Wir sind zu wenige, um ihn anzugreifen. Also bieten wir Teggar einen Waffenstillstand an. Vorerst.«
Sie begannen den See zu umrunden. Kleine Wellen umschwappten ihre Lederstiefel, die sich in das sandige Ufer gruben.
Mecdoof ging neben Ruuk und lachte freudlos. »Als ob wir in der Position wären zu verhandeln!« Er machte eine ausholende Geste und wies auf ihre Gruppe. »Schau uns doch an! Wir haben nichts in der Hand und wären auf seine Gnade angewiesen!«
»Wir werden sehen, wie sich die Situation vor Ort darstellt«, beschied ihm Ruuk und ballte die Hände zu Fäusten. »Aber sollte ich die Chance bekommen, Teggar eins auszuwischen, werde ich sie ergreifen!«
***
Ruuks Gruppe wurde erstaunlich freundlich im Dorf von Chiiftan Teggar aufgenommen. Offensichtlich war ihnen daran gelegen, Frieden zu schließen. Zum Schein ging Ruuk darauf ein. Er und die anderen machten sich nützlich und versuchten sich in die Dorfgemeinschaft zu integrieren. Aber die jahrelangen gegenseitigen Ressentiments waren nicht einfach so wegzuwischen. Schließlich war auf beiden Seiten getötet worden. Das konnte und wollte man nicht verzeihen.
Zu offenen Konflikten kam es jedoch nicht, dafür hatte Teggar gesorgt und jedem seiner Leute eingebläut, wenn schon nicht freundlich, so doch wenigstens nicht feindselig gegenüber Ruuks Leuten aufzutreten.
Dementsprechend blieben beide Gruppen viel unter sich. Ruuk war das nur recht, grübelte er doch ständig darüber nach, wie er die Schmach, unter der Herrschaft seines Bruders leben zu müssen, abwenden konnte. Es dauerte nur wenige Tage, bis er meinte einen Weg gefunden zu haben.
»Ich glaube, ich weiß, was vorgeht!«, sagte er beim Abendessen und riss mit den Händen einen Batzen Fleisch aus der gebratenen Lischette, die er für sich und Mecdoof zubereitet hatte. Die leckeren Insekten gab es im Sommer zuhauf am See, und sie schmeckten hervorragend, wenn sie einfach für eine gewisse Zeit in der Glut durchgegart wurden.
Mecdoof, der Ruuk oft in seiner Hütte besuchte, kaute auf einem Stück Lischettenbein herum und runzelte die Stirn. »Wasch glaubscht du tschu wischen?«, fragte er zwischen zwei Bissen.
»Wie dieser dauernde Wechsel zwischen Sterblichkeit und Unsterblichkeit zustande kommt«, erklärte Ruuk. »Offenbar ist der Hüter gar nicht vollkommen tot, sondern schwebt in einem Zustand, der ihn teils hier und teils in der Geisterwelt hält.«
»Bist du jetzt bei der Heiligen Frau in der Lehre, dass dir solche Gedanken kommen?«, spottete Mecdoof. Sein Kichern verstummte allerdings, als er Ruuks drohenden Blick sah.
»Du sitzt an meinem Tisch! Vergiss deine Manieren nicht!«
»Schon gut«, gab Mecdoof klein bei.
»Wie auch immer«, fuhr Ruuk fort. »Ich bin davon überzeugt, dass wir an den Hüter gebunden sind und nicht an diesen Ort. Als der Bewahrer noch lebte, hatten wir keine andere Wahl, als hier zu bleiben. Nun aber…«
Mecdoof schien ein Licht aufzugehen. Er rülpste vernehmlich und warf den ausgelutschten Chitinpanzer des Lischettenbeins auf den Tisch. »Du meinst, dass wir uns nur das Skelett unter den Nagel reißen und bei uns tragen müssten, um dem Schwarzen Tod zu entgehen und nach Ruukwood zurückzukehren?«
Bravo! So einen Rückschluss hätte ich dir gar nicht zugetraut , dachte Ruuk und nickte. »So ist es, mein Freund! Und weil ich nicht vorhabe, hier unter den wachsamen Augen meines Bruder zu versauern, machen wir Folgendes…«
***
Ruuk war äußert zufrieden, denn alles verlief nach seinen Vorstellungen! Nach dem Abendessen hatte Mecdoof seine Leute hergerufen. Sie hatten von den anderen unbemerkt ihre wenigen
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