281 - Bausteine des Lebens
zog und angewidert auf den Boden spuckte.
Willem bemerkte es und bat um Ruhe. »Mein Herr, habt Ihr einen Wunsch?«, wandte er sich an Ruuk. »Ich möchte für jeden Geschmack etwas bieten, und - verzeiht, wenn ich so offen spreche - Euch scheint mein letzter Vortrag nicht gefallen zu haben.«
Ruuk schnaufte verächtlich. »Pah! Wünsche habe ich viele, aber keiner davon hat mit deinem Gejaule zu tun.« Der Barbar kickte im Sitzen einen Stein von sich. »Und außerdem: Was singst du vom Sterben? Wir hier können selbst ein Lied davon singen!«
Mecdoof lachte meckernd und schlug seinem Clanchef zustimmend auf die Schulter. Vielleicht hatte er dessen Wortspiel sogar verstanden.
»Stattdessen solltest du etwas über das Leben singen«, forderte Ruuk und schlug mit der flachen Hand auf den Boden. »So etwas will ich hören!«
Andere Zuhörer stimmten dem Wunsch mit bestätigenden Rufen zu. Willem schien zu überlegen, dann fiel ihm offenbar ein passendes Stück ein. Er stimmte die Laute nach und bat das Publikum um Ruhe. »Vom Leben wollt ihr also hören? Was ist denn schon das Leben? Eine Folge von Erlebnissen und Erinnerungen, von Dingen, die man in sich ansammelt und die einen formen, das aber viel zu schnell vorüber geht. Was aber, wenn man ewig lebt? Was geschieht dann mit einem?«
Plötzlich war es totenstill auf dem Dorfplatz. Jeder hing jetzt an den Lippen des Truveers. Hatte er etwa ihr Geheimnis ergründet? Wusste er von ihrer Unsterblichkeit?
Chiiftan Teggar sah zu Ruuk hinüber, den er im Verdacht hatte, heimlich mit dem Bänkelsänger gesprochen zu haben, aber auch sein Bruder schien den Mund vor Staunen nicht schließen zu können.
»Ja, ihr habt richtig gehört!«, freute sich Willem über die Aufmerksamkeit, die man ihm widmete. »Es gibt sie, die Unsterblichen! Ich habe von einer gehört! Und von ihr will ich euch nun berichten…« Er schlug einen Akkord an und begann zu singen:
An der Südküste der Grünen Insel, sagt man
Lebt die Unsterbliche, und ihrem Bann
Kann man sich nicht entziehen
Selbst wollte man fliehen
Und sie wohnt dort mit Kind und Mann.
Viele Orte hat sie schon bereist
Von der Wüste bis ins Ewige Eis
Wohin sie auch ging
Das Glück an ihr hing
Trotz vieler Winter ward sie nie zum Greis.
Und so ist sie von Wudan gesegnet
Vielleicht ist sie ihm gar begegnet
Sie wird nie vergehen
Wird die Ewigkeit sehen
Wenn das Schicksal die Wege ihr ebnet.
Willem wiederholte am Ende jeder Strophe jeweils die letzten drei Zeilen, bevor er in einen kurzen Zwischenteil überging und danach wieder in die Grundmelodie wechselte. Es war ein fröhliches Lied mit einem flotten Rhythmus, ganz wie man es von den Weisen der Grünen Insel kannte.
Aber Teggar und sein Clan ließen sich nicht davon mitreißen. Sie alle versuchten, den Worten des Truveers mehr Informationen über diese geheimnisvolle Unsterbliche zu entnehmen, über die er zu berichten wusste.
Der Chiiftan stand auf und ging zu Willem, der gerade zu einer Wiederholung der letzten Strophe ansetzte.
Sie ist unsterblich wie wir , überlegte Teggar, aber scheint nicht an diesen Ort gebunden zu sein. Wie ist das möglich?
Der letzte Ton verklang. Doch diesmal erntete der Musiker keinen Applaus und keinen Jubel. Wohin er auch blickte, waren die Gesichter seines Publikums erstaunt, ja ratlos. Verwundert ließ Willem sein Instrument sinken. Mit so einer Reaktion hatte er nicht gerechnet.
Teggar trat vor den Karren. »Darf ich dir Fragen zu diesem Lied stellen, Truveer?«
Willem zog sie Beine, die er zuvor hatte baumeln lassen, auf die Fläche des Karrens und überschlug sie in den Schneidersitz. »Fragt frei heraus!«, ermunterte er den Chiiftan. »Wenn ich Euch Antwort geben kann, will ich das gerne tun.«
»Zunächst einmal: Wo hast du dieses Lied her? Wann hast du es zum ersten Mal vernommen?«
Willem grinste verschmitzt. »Normalerweise gibt ein Truveer seine Quellen nur Seinesgleichen gegenüber aus. Wie aufmerksam übrigens, dass Ihr nicht davon ausgeht, ich könnte das Lied selbst gedichtet haben«, gab er spielerisch den Eingeschnappten.
»Es ist wirklich sehr wichtig, dass wir mehr über diese Unsterbliche erfahren«, sagte Teggar eindringlich.
Willem seufzte. »Also gut… Ein Kollege sang es mir vor, als wir selbst auf der Grünen Insel unterwegs waren. Er schwor, die Reime selbst verfasst zu haben, gab allerdings zu, dass er die Melodie einer traditionellen Weise entliehen hatte. Mir war gleich
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