283 - Der Zorn der Königin
Luft.
Erschreckt wichen die Lords vor ihr zurück.
»Es reicht! Ich bin nicht hierher gekommen, um mich beleidigen zu lassen. Ich wollte dem kleinen Steewens helfen und dachte, ihr wolltet das auch. Wenn ihr ihn den Technos überlassen wollt, kann ich ja gehen.«
Ihre Rede sorgte für neue Aufregung und wilde Spekulationen. »Behalten wia diese Tojia als Geisel«, verlangten die einen. Die anderen forderten ihren Tod. Paacival, der ihr wohl allein schon seines Neffen wegen glauben wollte, saß zwischen allen Stühlen.
Schon sah Victoria ihre Felle davon schwimmen. Ihr gut ausgearbeiteter Plan war dahin. Jetzt hieß es nur noch, sich ihrer Haut zu wehren. Nicht noch einmal würde dieses Pack sie in seine Gewalt bringen. Ihre Hände umklammerten das LP-Gewehr. Lieber wollte sie sterben und so viele Lords wie möglich mit in den Tod nehmen.
Doch es kam nicht dazu.
»Haltet ein!« Eine hagere Gestalt drängte sich plötzlich durch die Reihen. Während sie in den Lichtschein des Feuers trat, verstummten die Menschen. »Es ist dea Wille vonnen Göttean, dass iha Tojia nach Landán folgt. Sie ist eine der Auseawählten, die mit mia das Schiff in den Osten bwingen wiad.«
Verblüfft und erstaunt stierten die Lords von ihrem Druud zu der schmutzigen Frau, die ebenso verwundert schien wie sie.
Doch Victoria bemerkte kaum, was um sie herum geschah. Der Boden unter ihren Füßen schien zu schwanken, während sie den hageren Mann mit den lockigen Haaren sprachlos anstarrte.
Sie kannte ihn! Er war damals dabeigewesen, als die Männer sie vergewaltigten. Hatte in einer Ecke der Schreckenskammer gestanden und einfach tatenlos zugeschaut.
Doch seltsam: Der Hass, den sie ihm eigentlich entgegenbringen sollte, blieb aus. Denn gleichzeitig spürte sie, dass der Druud einer von ihnen war. Auch er wollte zum Ziel im Osten. Es war wie bei Enna und Meikel.
Welch böser Streich, den ihr das Schicksal da spielte! Ob sie wollte oder nicht: Sie musste mitspielen. Doch die Regeln würde sie bestimmen!
***
Am nächsten Morgen, London
Grau und kalt endete die Nacht über der Ruine der Westminster Bridge. Dahinter ragten die Überreste der Glaskuppel wie Eiskrallen in den Himmel über Landán. Im Bunker unter der Kuppelruine schliefen die Bewohner noch. Nur die beiden Wächter am westlichen Hauptzugang nicht. Durchgefroren wärmten sie sich am Feuer. Sie verfluchten die Queen, die vor Tagen das Schott zerstört hatte. Wegen ihr mussten sie die kalten Nächte im Freien verbringen.
Nur ein Verschlag aus Holz und Schrott verrammelte den Eingang und es war immer noch nicht absehbar, wann es Mars Hawkins endlich gelingen würde, die Elektronik und die komplizierte Schließvorrichtung des Tores wieder funktionstüchtig zu machen.
»Ihm fehlt einfach das technische Geschick von Claudius Merylbone«, bemerkte der Ältere der beiden Wächter, ein großer Mann mit grauen Haaren. Er zog seinen Fellmantel fester um Brust und Schulter und tappte zum Warmwerden von einem Bein auf das andere.
Der andere nickte. »Hab Merylbone zwar nie gemocht, aber das Ding da hätte der mit links repariert.« Mit seinem blonden Lockenkopf deutete er zum ruinierten Schott. »Außerdem scheint Hawkins mit dem Kopf ständig woanders zu sein, seit ihm die Sache mit der Windsor passiert ist. Ist ja auch ne Schande: Erst lässt er sich die Waffe abnehmen und in den Graben stoßen, und dann muss er noch mit anhören, wie sein Kumpel abgeknallt wird. Würd ihm wünschen, dass er dem Weibsstück eines Tages alles heimzahlen kann.«
»Ich nicht«, erwiderte der Grauschopf grimmig. »Eine Schande ist, wie die da unten die Queen behandelt haben, und nicht umgekehrt. Auch wenn ich sie eben noch verflucht habe: Recht hatte sie, sag ich dir, und ich hoffe, dass sie sie niemals finden.«
Der jüngere Bunkersoldat spähte ängstlich zum Bretterverschlag in seinem Rücken. »Pass auf, was du sagst, Mann. Wenn dich jemand hört, können wir hier die ganze Woche Wache schieben, Tag und Nacht«, zischte er leise.
»Mir doch egal. Außerdem liegen die feinen Herrschaften sowieso noch unter ihren warmen Decken und sonst ist hier niemand.« Der Grauhaarige beschrieb mit dem Arm einen weiten Bogen. »Ruinen, leere Gassen und Nadelgehölz, sonst nichts. Nichts und niemand.« Doch als er in Richtung Waldrand deutete, stutzte der Mann. »Da kommt was…«
Tatsächlich ertönten vom Pfad zwischen den Bäumen her ferne Geräusche. Hufgetrappel und Rattern. Beide Soldaten griffen nach
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