2896 - Die Wahrheit bringt den Tod
in Ordnung.«
»Schauen Sie sich bitte dieses Foto an«, forderte ich O’Neill auf. Ich hatte das Porträtfoto von Henry Waters auf der Homepage von United Chemical gefunden und ausgedruckt. »War das der Mann, der Sie interviewt hat?«
Der Anwalt schüttelte augenblicklich den Kopf. »Nein, der war es definitiv nicht.«
Phil rief im Field Office an und bat Blair Duvall und June Carter, einen Journalisten namens Edward Belfour ausfindig zu machen und zu uns zu bringen.
»Ich hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet, nachdem mir klar geworden war, was ich alles erzählt habe. Aber ich wollte abwarten, ob sich der Journalist nicht doch noch bei mir melden würde, um das Interview von mir freigeben zu lassen«, sagte O’Neill niedergeschlagen. Mit unserem Besuch hatten sich nun seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
***
O’Neills Angaben zur Person, die ihn interviewt hatte, waren nicht besonders ergiebig. Der vermeintliche Journalist trug zum Zeitpunkt des Interviews eine Frisur mit einem Seitenscheitel, einen kurzgeschnittenen Vollbart und eine getönte Sonnenbrille. Das Interview fand um die Mittagszeit im Restaurant The Boathouse im Central Park statt, und Belfour hatte darauf geachtet, mit dem Rücken zur Sonne zu sitzen.
Eine Untersuchung bestätigte unsere Vermutung. Im Blut des Anwalts konnte Natrium-Thiopental nachgewiesen werden, allerdings in einer anderen chemischen Zusammensetzung als bei den beiden Todesopfern. Doch wir hatten nun den Beweis, dass es einen Zusammenhang zwischen den Toten und dem anonym zugesandten Interview gab.
»Aber warum hat Belfour, oder wer auch immer hinter diesem Namen steckt, das Interview der New York Times zugespielt?«
»Das ist doch klar, Phil. Er will damit den anderen Erpressten deutlich machen, welche Folgen es hat, sollten sie das Schweigegeld nicht zahlen.«
»Du meinst, es gibt noch weitere Personen, die erpresst werden sollen?«
»Genau das denke ich. Und zwar mindestens zwei. Nämlich die, über die unsere beiden Toten aus dem Beth Israel Medical Center vermutlich Auskunft gegeben haben.«
»Auskunft geben mussten«, korrigierte mich Phil. »Sag mal, Jerry, glaubst du, Waters steckt hinter der ganzen Sache?«
»Nein. Waters ist Wissenschaftler. Ich glaube, jemand hat Wind von dem Serum bekommen und ihn dann erpresst. Oder ihn beteiligt. Aber der Drahtzieher ist er nicht. Dazu ist er nicht der Typ, nach all dem, was wir über ihn wissen.«
Phil stimmte mir zu. »Wir sollten überprüfen, über wen die beiden Toten exklusives Wissen haben könnten. Sollte sich darunter jemand aus der Politik befinden, könnte die Situation ziemlich schnell unübersichtlich werden.«
»Wie meinst du das?«, fragte Phil.
»Vielleicht war einer der Toten mit dem Bürgermeister befreundet. Oder mit dem Senator«, deutete ich an.
»Das sollten wir so schnell wie möglich überprüfen. Aber da beide für namhafte Unternehmen gearbeitet haben, vermute ich, dass die Erpressten auch in diesem Umfeld zu finden sein werden«, sagte mein Partner.
Ich rief Mr High an und schilderte ihm die Situation. Der nahm umgehend Kontakt zum Bürgermeister auf. Bereits eine Stunde später fand ein hitziges Gespräch zwischen Bürgermeister Holbrook und dem Chefredakteur der New York Times statt.
»Hören Sie, Mister Dwyer, ich will die Veröffentlichung ja nicht verhindern. Ein solcher Einschnitt in die Pressefreiheit ist nicht akzeptabel. Aber eine Verzögerung der Veröffentlichung würde dem FBI helfen, Zeit zu gewinnen, um dem Erpresser auf die Spur zu kommen.«
»Das macht keinen Sinn«, antwortete Dwyer. »Werfen Sie einen Blick ins Internet. Gerade hat das Internet-Portal WikiWonder das Interview online gestellt. Der Erpresser hat es also nicht nur uns geschickt. Wir werden die Geschichte morgen früh auch bringen. Es tut mir leid, dass ich Ihnen da nicht helfen kann.«
Innerhalb kürzester Zeit griffen Agenturen und Zeitungen das Interview auf. Insbesondere die Details zu Börsenabsprachen zwischen großen Unternehmen führten dazu, dass der Dow-Jones-Index abstürzte und sich am Abend bei einem um fast sieben Prozent niedrigeren Wert als bei Börsenbeginn stabilisierte. Zudem war das Bankhaus van Heusen ruiniert, niemand mehr würde diesem Unternehmen vertrauen.
Belding hatte erreicht, was er wollte. Die verbleibenden Erpressten wussten nun, was ihnen blühen würde, wenn sie nicht zahlten. Er kontaktierte sie über Prepaid-Handys, die er nach jedem Gespräch entsorgte.
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