2896 - Die Wahrheit bringt den Tod
uns jemand mit diesen Informationen, Michael? Welches Motiv hat er?«
Sellers lehnte sich zurück. »Bleiben wir doch bei den Klassikern: Geld, Liebe, Hass.«
Dwyer biss sich auf die Unterlippe. »Erpressung scheidet aus. Schließlich weiß es jeder, wenn wir es veröffentlichen. Bleiben die großen Emotionen.«
»Also, was machen wir?« Sellers sah Dwyer durchdringend an.
»Es ist verlockend, die Sache zu bringen. Sofort. Das Ding hat die Qualität von Watergate. Aber wir brauchen Zeit, um sauber zu recherchieren. Und in der Zeit, in der wir recherchieren, könnten sich Dinge ereignen, die hätten verhindert werden können.«
»Du meinst, wir sollten das NYPD einschalten?«, fragte Sellers.
»Ja, das meine ich.« Dwyer schaute nachdenklich aus dem Panoramafenster. »Vielleicht ist das ja nur die Spitze eines Eisbergs. Und ich möchte nicht, dass wir schuld sind am Untergang der Titanic.«
Dwyer griff zum Telefonhörer. »Verbinden Sie mich bitte mit dem Police Commissioner, Miss Defoe.«
***
»Hallo Jerry. Hier spricht High.« Ich hielt die Sprechmuschel des Telefonhörers zu und flüsterte den Namen unseres Chefs in Phils Richtung.
»Was kann ich für Sie tun, Sir?«
»Commissioner Fowley hat gerade bei mir angerufen. Und kurz zuvor hatte er einen Anruf vom Chefredakteur der New York Times erhalten«, berichtete Mr High. »Die Zeitung hat einen USB-Stick mit einem Interview erhalten. Anonym. Das Interview enthält unter anderem hochbrisante Details zu Insidergeschäften an der Wall Street, an denen der Bankier Frederick van Heusen beteiligt ist und die in jedem Fall staatsanwaltschaftliche Ermittlungen nach sich ziehen würden, wenn sie zuträfen. Vermutlich würde es sogar einen Erdrutsch an der Börse geben, wenn die Öffentlichkeit erfahren würde, was sich da abgespielt hat. Commissioner Fowley dachte, dass das ein Fall für uns sein könnte. Und ich denke das auch.«
***
»Guten Tag. Sind Sie Stuart O’Neill?«, fragte ich.
O’Neill nickte.
»Ich bin Special Agent Jerry Cotton, und das ist mein Kollege Special Agent Phil Decker.« Ich deutete auf meinen Partner, der wie ich seine Dienstmarke in die Höhe hielt.
»Was kann ich für Sie tun, Agents?«, fragte O’Neill. Er schien aber wenig überrascht.
»Könnten wir vielleicht im Haus weitersprechen?«, fragte ich ihn.
»Natürlich. Kommen Sie doch herein.« O’Neill führte uns in sein Wohnzimmer und bot uns einen Platz in Ledersesseln an, die nicht nur sehr teuer aussahen, sondern es vermutlich auch waren. Die ganze Wohnung war hell und sehr geschmackvoll eingerichtet.
»Wissen Sie, weswegen wir hier sind?«, begann Phil.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte O’Neill höflich.
Wir lehnten dankend ab. »Also, wissen Sie, warum wir hier sind?«, begann Phil erneut.
»Nein.« O’Neill versuchte zu lächeln. »Aber Sie werden es mir vermutlich gleich sagen.« Er sah uns abwechselnd erwartungsvoll an.
Es war Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen. »Der New York Times wurde ein Interview auf einem USB-Stick zugespielt. In diesem Interview geht es um die Geschäfte eines Bankiers. Sein Name ist Frederick van Heusen.« Ich zögerte einen Moment, um seine Reaktion abzuwarten. Nichts. »Die Informationen sind sehr brisant und können im Falle einer Veröffentlichung sowohl für Mister van Heusen als auch für viele andere Menschen sehr unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen.«
Nun wurde O’Neills Gesicht rot, und er begann sich fahrig die Hände zu reiben. »Wir haben Mister van Heusen das Interview vorgelegt«, fuhr ich fort. »Seiner Meinung nach gibt es nur einen Menschen, der so viele Details kennen kann.«
Nun übernahm Phil. »Es ist jemand, dessen Kanzlei das Bankhaus van Heusen schon seit Jahrzehnten anwaltlich betreut.«
O’Neill begrub seinen Kopf in den Händen. »Ich habe das nicht gewollt«, stöhnte er. »Ich kann mich noch sehr gut an jede Frage erinnern. Aber als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, konnte ich mir nicht erklären, warum ich die Fragen alle wahrheitsgemäß beantwortet habe. Selbst die geheimsten Informationen zu van Heusens Banktransaktionen habe ich ihm gesagt.«
»Wem haben Sie es gesagt?«, hakte ich nach.
»Edward Belfour. Ein angesehener Journalist, ich habe ihn im Internet gecheckt.« O’Neill schüttelte den Kopf. »Ich kann mir das alles überhaupt nicht erklären. Am Abend habe ich starke Kopfschmerzen bekommen und mich übergeben müssen, aber am nächsten Morgen war wieder alles
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