2898 - Leichen brauchen kein Alibi
Ihnen etwas.«
Stanton grinste. »Klar, mit dem kleinen Weichei hatte ich hier in Rikers öfter Ärger. Das ist kein Geheimnis, Agent Cotton. Sie werden verschiedene Eintragungen in den Wachbüchern finden. Einmal musste ich sogar in die Einzelzelle, weil mir unter der Dusche mal kurz die Hand ausgerutscht ist.«
»Die Hand ausgerutscht?«, wiederholte Phil. »Wenn ich es richtig verstanden habe, wurde Reed von Ihnen krankenhausreif geschlagen.«
Der Häftling zuckte gefühllos mit den Schultern.
»Kann schon sein. Ich kann ja auch nichts dafür, dass ich so ein kräftiges Kerlchen bin. Jedenfalls bin ich dafür bestraft worden, also ist die Sache für mich aus der Welt.«
»Wirklich? Aber Reed hat das anders gesehen. Er wollte verhindern, dass Sie ihn noch einmal anrühren. Nach Ihrer Haftentlassung musste er befürchten, dass Sie sich ihn noch einmal vorknöpfen.«
»Wenn Reed Muffensausen hatte, dann ist das nicht mein Problem. Sehen Sie sich doch hier mal um, Agent Cotton. Das hier ist kein Mädchenpensionat, sondern Rikers. Ich kann hier nicht einfach nach draußen spazieren, wenn ich Lust dazu habe. Dass Reed umgelegt wurde, ist mir bekannt. In den lokalen TV-News wurde darüber berichtet. Aber ich kann ihn nicht auf dem Gewissen haben, denn ich war ja die ganze Zeit hier. Ein besseres Alibi kann man doch wohl kaum haben, oder?«
»Schon möglich, Stanton. Fällt Ihnen denn jemand ein, dem Sie diese Bluttat zutrauen würden?«
Der Häftling schüttelte den Kopf.
»Ich war nicht der Einzige, der Reed nicht ausstehen konnte. Aber die anderen Typen, bei denen er sich unbeliebt gemacht hat, sitzen auch alle noch in diesem Block.«
Mir war klar, dass Stanton uns nicht die ganze Wahrheit sagte. Aber er würde garantiert nicht seinen Helfer verraten, der außerhalb der Gefängnismauern die Drecksarbeit für ihn erledigt hatte. Phil und ich hatten uns nur einen Eindruck von Sam Stanton verschaffen wollen. Und wir hatten jetzt genug gesehen. Wir standen auf. Doch bevor wir den Raum verließen, wandte ich mich noch einmal an den Gefangenen.
»Sie haben ja genügend Erfahrung mit Gerichten, Stanton. Wenn Sie von einer Straftat wissen und den Täter decken, dann können Sie Ihre demnächst anstehende Haftentlassung komplett vergessen.«
Darauf erwiderte Sam Stanton nichts. Doch als ich mich umdrehte, spürte ich seine hasserfüllten Blicke in meinem Rücken.
***
Natürlich wollten wir sofort herausfinden, von wem Sam Stanton Besuch bekommen hatte. Laut den Unterlagen der Rikers-Verwaltung hatten ihn in den vergangenen zwölf Monaten nur zwei Personen regelmäßig besucht: seine Frau Glenda und sein Bruder Jim.
Mit dieser Information kehrten wir zunächst ins Field Office zurück und überprüften die Namen in unseren Datenbanken. Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten. Glenda Stanton war nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Aber dafür erwies sich der Bruder des Inhaftierten als ein Volltreffer. Phil las laut vor, was in der elektronischen Strafakte auf seinem PC-Monitor stand.
»James Stanton, genannt Jim. Geboren vor 35 Jahren in Bensonhurst, erste Verurteilung mit 17 Jahren wegen Autodiebstahl. Danach zwei weitere Strafverfahren wegen Körperverletzung und Erpressung, erste Aufenthalte im Horizon Juvenile Center in der Bronx. Von dieser Jugendstrafanstalt wechselte Jim Stanton dann später hinüber nach Rikers, wo er zuletzt vor vier Jahren entlassen wurde. Damals saß er eine Haftstrafe wegen schweren Raubes ab. Jim und Sam Stanton scheinen sich sehr zu ähneln, nicht nur äußerlich. Das ist ja eine richtig kriminelle Familie.«
Phil hatte recht. Auf dem erkennungsdienstlichen Foto, das zu der NYSIIS-Datei gehörte, sah Jim Stanton seinem inhaftierten Bruder ziemlich ähnlich, obwohl sie keine Zwillinge waren.
Wir präsentierten Mr High unseren aktuellen Ermittlungsstand. Der Chef blickte nachdenklich auf seine schmalen Künstlerhände, die er auf der Unterlage seines penibel aufgeräumten Schreibtischs gefaltet hatte.
»Offenbar ist dieser Jim Stanton dringend tatverdächtig. Sein inhaftierter Bruder wird ihm von Reeds Mordplänen erzählt haben. Daraufhin hat Jim Stanton den Spieß sozusagen umgedreht. Nehmen Sie ihn so schnell wie möglich fest. Falls sich seine Unschuld herausstellen sollte, müssen wir die Ermittlungen natürlich fortsetzen. Aber momentan scheint Jim Stanton unser Hauptverdächtiger zu sein.«
Phil und ich waren derselben Meinung. Der Assistant Director
Weitere Kostenlose Bücher