2898 - Leichen brauchen kein Alibi
Stanton lammfromm.«
Mir kam eine neue Idee zum Mord an Jake Reed. Aber noch war es zu früh, um sie Phil und dem Senior Officer des Wachpersonals auf dem Silbertablett zu servieren.
Adam Clark führte uns persönlich zu dem Besucherraum des Zellenblocks. Dort roch es penetrant nach Desinfektionsmittel, wie immer. Momentan befanden sich in dem langgestreckten Raum nur drei Personen, nämlich ein in Orange gekleideter Gefangener und zwei uniformierte Wärter. Wie Leibwächter standen sie mit vor der Brust verschränkten Armen hinter ihm. Dieser Mann musste Rick Parker sein.
Man hatte ihm nicht nur Handschellen, sondern auch Fußfesseln angelegt, obwohl er sich mitten in einem der ausbruchsichersten Gefängnisse der Staaten befand. Das war ein Zeichen dafür, dass Rick Parker vom Wachpersonal als besonders gefährlich angesehen wurde.
Wir fürchteten uns jedenfalls nicht vor ihm.
Für Rikers-Verhältnisse war Parker alt. Wir hatten uns in der Verwaltung noch schnell seine Akte zu Gemüte geführt. Daher wussten wir, dass er vor mehr als einem halben Jahrhundert in Hell’s Kitchen das Licht der Welt erblickt hatte. Parker war stets ein Gewohnheitsverbrecher gewesen, der viele Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht hatte. Bei seinem letzten Coup hatte er als Einbrecher ein Ehepaar im Schlaf ermordet. Er war zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt worden, würde also Rikers nur als toter Mann wieder verlassen.
Das war für uns nur wichtig, weil wir gegen ihn kein Druckmittel in der Hand hatten. Was konnten wir ihm schon anbieten? Für eine Flasche Duschgel aus dem Anstaltsladen würde ein abgebrühter Krimineller wie Parker gewiss nicht die Zähne auseinanderkriegen.
Rick Parker grinste uns frech an, als wir den Raum betraten.
»Hoher Besuch vom FBI? Wenn ich das geahnt hätte, dann hätte ich meine Sonntagsschuhe angezogen.«
Der Gefangene deutete auf seine Füße, die in Tennissocken und ausgetretenen Badelatschen steckten. Ich ging nicht darauf ein.
»Ich bin Agent Jerry Cotton vom FBI New York. Das ist Agent Phil Decker. Wir wollen mit Ihnen über Jake Reed sprechen. Wundern Sie sich gar nicht, dass er Sie nicht mehr besucht?«
»Das wird wohl daran liegen, dass er tot ist«, erwiderte er trocken. »Und Sie wollen von mir wissen, ob ich seinen Mörder kenne, nicht wahr?«
***
Ich wunderte mich nicht darüber, dass Parker vom Tod seines ehemaligen Zellengenossen schon gehört hatte. Erstens durfte dieser Gefangene Radio und TV nutzen, und die New Yorker Medien hatten sich über den Mord an Jake Reed bereits lang und breit ausgelassen.
Und zweitens hörten die Gefangenen in Rikers buchstäblich die Flöhe husten. Selbst die in Einzelhaft isolierten Straftäter fanden immer wieder Mittel und Wege, um sich auf den neuesten Stand zu bringen.
Phil und ich setzten uns Parker gegenüber an den Tisch. Obwohl ich ungeduldig war, wollte ich den Gefangenen das Tempo der Befragung bestimmen lassen. Wie gesagt, wir hatten kein Druckmittel gegen ihn.
»Erzählen Sie doch mal von Ihrem ehemaligen Zellengenossen, Parker. Was für ein Typ war Reed eigentlich?«
»Haben Sie ihn persönlich mal kennengelernt, Agent Cotton?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Das dachte ich mir«, fuhr der Inhaftierte fort. »Sonst hätten Sie mir die Frage nämlich gar nicht erst gestellt. Reed war eigentlich zu schwach für das Leben in Rikers. Es gibt hier drinnen Typen, die wir als Opfer bezeichnen. Sie werden von den härteren Knastbrüdern herumgestoßen und wie Punchingballs behandelt.«
»Hier hat sich jeder an die Regeln zu halten«, rief Adam Clark wütend dazwischen. Parker zwinkerte dem Oberaufseher zu.
»Selbstverständlich, Senior Officer Clark. Aber Ihre Leute können nicht überall sein, und sie haben auf dem Rücken auch keine Augen. Sie wissen selbst, wie viele Häftlinge tagtäglich auf den Krankenstationen eingeliefert werden.«
Clark presste die Lippen aufeinander und erwiderte nichts. Er wusste genauso gut wie wir, dass Gewalt hinter Gefängnismauern ein schwer einzudämmendes Problem darstellte.
Ich hakte nach, wollte Parker zum Weiterreden bringen.
»Reed war also ein sogenanntes Opfer, Parker. Aber wie standen Sie persönlich zu ihm? Fanden Sie ihn sympathisch?«
»Er war ein Schleimer. Reed schmeichelte mir immer, was für ein harter Bursche ich wäre und wie gut mein Ruf sei. Es stimmt schon, hier drin ist Respekt alles. Und er war ja auch mein Zellenkumpan, deshalb fühlte ich mich etwas verantwortlich
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