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29 - Im Lande des Mahdi III

29 - Im Lande des Mahdi III

Titel: 29 - Im Lande des Mahdi III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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so in den vorhandenen Bodenvertiefungen bewegen, daß wir nicht zwischen die Augen der Kelhur und die erleuchteten Maueröffnungen der Musallah kamen.
    Aus diesem Grund dauerte es wohl eine Viertelstunde, ehe wir die Kapelle erreichten, und zwar nicht an ihrer vor dem und auch nicht an der nach dem Felssturz liegenden, sondern an der dritten Seite, welche wir bis dahin noch nicht gesehen hatten und die, zu meiner großen Befriedigung, auch jetzt von den Feinden nicht gesehen werden konnte. Die vierte Seite stieß an den Felsen, kam also gar nicht in Betracht. Wir befanden uns also auf der von den Bären abgelegenen Flanke der Ruine, was uns nur zum Vorteil gereichen konnte, und zu meiner noch größeren Genugtuung bemerkte ich da, daß es hier auch ein Fenster gab, dessen Brüstung so tief eingefallen war, daß man nur über einige Steine zu springen brauchte, um in das Innere zu gelangen.
    Im Schatten dieser Steine legten wir uns nieder und brauchten nur die Köpfe zu erheben, um den ganzen Innenraum der Musallah zu überblicken. Wir sahen nichts als Trümmer, Schutt und Mauern; es gab nichts, auch nicht den kleinsten, geringsten Gegenstand, der auf den einstigen Zweck des Bauwerks hätte schließen lassen. Große Steine und kleineres Geröll lagen über den Boden hin verstreut, und nur an der hintern Seite, der Felsenwand, bemerkte ich verbröckelte Linien, die wahrscheinlich einst eingemeißelt worden waren und, wenn der fahle, ungewisse Lichtschein mich nicht täuschte, in kufischer Schrift als ‚Kyrie‘ gelesen werden mußten. Kyrie eleison – Herr erbarme dich! Keine Inschrift konnte besser passen für diesen Schauplatz der Zerfleischung glaubenstreuer Christen! Und nicht weniger eignete es sich für die Szene, welche jetzt vor unseren Augen lag!
    Die Kelhur hatten die Pfahle, an welche die beiden Bebbeh gebunden worden waren, im Hintergrund in die Erde gerammt und unten mit angelegten, schweren Steinen so befestigt, daß sie nicht wanken konnten. Dies war jedenfalls geschehen, um eine Verlängerung der Todesqualen zu erzielen; die Bären sollten dadurch gezwungen werden, ihr grauenhaftes Werk an den Füßen ihrer Opfer zu beginnen. Diese befanden sich in ihren Kleidern und waren mit Riemen und Stricken fest umwickelt, eine weitere Verschärfung der Grausamkeit, weil die Krallen der Raubtiere dadurch verhindert wurden, mit ihnen schnell ein Ende zu machen. Ihre mit Honig beschmierten Gesichter waren kaum zu erkennen; er lief und tropfte an ihnen nieder und bildete unter ihnen kleine Lachen, welche ihre Anziehung auf die Bären nicht verfehlen konnten. Da sie nicht imstande waren, auch nur ein Glied zu bewegen, erinnerten sie mich an die Art und Weise, wie gewisse Puebloindianer ihre verstorbenen Angehörigen zu beerdigen oder vielmehr nicht zu beerdigen pflegen, indem sie sie an Pfahle binden, die an hochgelegenen Punkten in die Erde gesteckt werden. Es ist schauerlich, solche Leichen hoch auf Felsenspitzen zu erblicken, umschwebt von Geiern, welche ihr grausiges Mahl davon halten. Hier aber in der Musallah sollten nicht Leichen, sondern lebende Menschen aufgefressen werden!
    Die Bebbeh schienen alle ihre Kräfte angestrengt zu haben, ihre Fesseln zu zersprengen, natürlich vergeblich; sie waren davon so ermattet, daß wir zunächst nur müde Seufzer hörten. Dann erklang aus Aqils Mund ein schwerer, hier unmöglich wiederzugebender Fluch, dessen Erfüllung den Kelhur den sofortigen Sturz in die tiefsten Qualen der Hölle gebracht haben würde.
    „Verdamme sie nicht, sondern klage nur dich selbst an!“ sagte da sein Sohn. „Sie üben nur die Rache aus, zu welcher du sie herausgefordert hast.“
    „Müssen sie sich aber in dieser fürchterlichen Weise rächen?“ entgegnete der erstere. „Wär es nicht Strafe genug, wenn sie uns einfach erschossen?“
    „Nein! Hast du vor zwei Jahren den Kelhur auch nur erschossen, oder hast du ihn in die Grube gesperrt und langsam verhungern lassen? Er mußte verhungern und wir werden gefressen. Das ist die Rache Schir Samureks, gerecht gegen dich, aber ungerecht gegen mich, denn ich bin nicht schuld an dem Tod jenes Mannes; als er starb, war ich in Kahira und also fern von Kurdistan. Warum hat Allah es gefügt, daß ich dein Sohn wurde und nun an den Folgen deiner Taten und deiner Torheiten zu Grunde gehen muß!“
    „Die Blutrache geht von Glied zu Glied; sie ist Allahs Gesetz, und du darfst dich also nicht beschweren.“
    „Ich habe nicht von der Blutrache,

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