29 - Im Lande des Mahdi III
vernehmlicher hinzu:
„Hobble die Pferde hier links bei den Sträuchern an, damit sie fressen können! Dann schlafen wir, wobei wir beide uns zum Wachen bis früh einander ablösen werden.“
Ich legte mich zu den Bebbeh in das Moos und flüsterte ihnen zu, nicht zu sprechen, sondern auch zu schlafen. Schir Samurek hatte sie weder gesehen noch gehört und wußte also nicht, daß sie noch lebten und sich in seiner unmittelbaren Nähe befanden; er sollte es auch jetzt noch nicht erfahren. Ich war müde und Halef ebenso; er erhielt die erste Wache, und ich übernahm die zweite, um beim Anbruch des Tages munter zu sein und den Gefangenen beobachten zu können. Da ich mich auf Halefs Wachsamkeit verlassen konnte, ließ ich mir von ihm meine Gewehre wiedergeben und schlief ein, um erst dann aufzuwachen, als er mich eine Stunde nach Mitternacht weckte.
Bald darauf hörte ich sein langsames, regelmäßiges Atmen. Die Bebbeh schnarchten um die Wette; von dem Scheik war kein Atemzug zu vernehmen. Ich schloß daraus, daß er nicht schlief, sondern wachte. Welche Gedanken mochten ihm durch den Kopf gehen? Wie sicher war er des Gelingens seiner Absichten gewesen! Wie stolz hatte er von mir und Halef gesprochen! Und nun lag er gefesselt und geknebelt da, ein Gefangener des ‚Christenhundes‘, den er noch vor wenigen Stunden auch von den Bären hatte zerreißen lassen wollen.
Wie viele solcher Nächte hatte ich in fremden Ländern, in Prärien und Urwäldern, in Dschungeln und sonstigen Wildnissen einsam durchwacht. Keine dieser Wachen hatte der anderen geglichen; stets war die Situation eine andere gewesen. Und doch gab es ein Etwas, was stets vorhanden gewesen war, was allen diesen Nächten die gleiche – – – Klangfarbe, möchte ich sagen, die gleiche Stimmung gegeben und den Grundton gebildet hatte zu all den Moll- oder Dur-, zu all den weichen oder härteren Akkorden, die da in meiner Seele erklungen waren, nämlich das Gefühl der Gottesnähe, die mit allen Fasern und Fibern empfundene Gegenwart dessen, welcher die allerhöchste Macht und zugleich die allerhöchste Liebe ist, das seligmachende Durchdrungensein von der Überzeugung, daß eine unendliche und allbarmherzige Weisheit mich an Ort und Stelle geleitet hat und mich auch weiter führen wird. Wie die winzige Puppe eines kleinen Falters, zu dem sie sich entwickeln soll, auf der Fläche einer geöffneten Gigantenfaust, so liegt der Mensch mit Leib und Seele, mit allem seinem Denken und Fühlen, mit all seinem Hoffen, Harren und Zagen in der allgewaltigen Hand Gottes, die ihn nicht zerdrücken, sondern zum irdischen Glück führen und dann zur Seligkeit des Himmels leiten will. Und – sollte man es für möglich halten – dieses Würmlein wagt es, an dem Dasein dieses Giganten zu zweifeln, dessen Faust es mühelos zermalmen kann. Dieses Würmlein will die Erde und den Himmel meistern, will die ewigen Gesetze des Herrn der Welten kritisieren, will seine Tempel zerstören und seine Altäre niederreißen, will sich selbst zum ersten und letzen Endzweck der Schöpfung ernennen und Atome und Moleküle erfinden, um aus ihnen Sonnen- und Sternenbälle zu formen, die nur dazu entstanden seien, sich wieder in ihr Nichts aufzulösen!
Wie anders, wie so ganz anders steht es da um ein Herz, welches in dem festen, unerschütterlichen Glauben schlägt, daß es in des Vaters Liebe ruhig und sich von seiner weisen Güte leiten lassen müsse, auch wenn es seine Absicht nicht erkennt. Wie unsagbar wohl lebt man, während ringsum die Stürme toben, im warmen, stillen Gottvertrauen, welches sich durch keinen Zweifel stören und durch keine noch so subtile Hyperkritik irremachen läßt. Das ist keine gedankenlose und denkfaule Hingabe an das Großmutter- und Kindermärchen vom ‚lieben Gott, der alles sieht‘, sondern ein selbstbewußtes und selbstgewolltes und deshalb um so beglückenderes Aufgehen in einen ebenso allgütigen wie unerschütterlichen höhern Willen, gegen den kein Sträuben hilft. Wer da meint, widerstehen zu können, dem wird und muß die Erkenntnis seines Irrtums kommen, wenn nicht noch im letzten, schwersten Augenblick seines Lebens, so doch ganz sicher im ersten Augenblick nach der Stunde, die wir so falscher Weise die Todesstunde nennen. Die Menschenseele besteht nicht aus Atomen, welche, wenn die Begräbnisglocken nicht mehr klingen, in dem von den Leugnern erfundenen großen Nihil zerstäubend untergehen, und wird, sobald sie ihr irdisches Haus
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