29 - Im Lande des Mahdi III
Fußspitzen dahinter und dirigierte es, indem ich die Knie nach und nach an den Leib zog, leise, leise zu mir heran. Endlich konnte ich es mit den Händen erreichen. Es war eine sogenannte ‚Kulle‘, ein bauchiger Krug, dessen Öffnung glücklicherweise so weit war, daß ich eine Hand hineinstecken konnte. Da die linke Hand gewöhnlich ein wenig kleiner ist als die rechte, schob ich die erstere hinein, nahm mich aber sehr in acht, um dabei nicht mit der Kette zu klirren. Das Wasser war kühl.
Die Zeit war nicht zu messen; wahrscheinlich aber dauerte es wieder gegen eine Stunde, ehe ich die Hand zurückzog. Als ich sie mit der Rechten befühlte, merkte ich, daß die Haut kleine Falten bildete; die Hand war also eingeschrumpft. Ich faßte mit der rechten Hand die linke Schelle fest und begann zu drehen. Hamdullillah, hätte ich beinahe ausgerufen – es ging; ich konnte die linke Hand durch das runde Eisen ziehen; sie war frei! Nun schnell mit ihr nach dem Genick, wo der Querpflock in der Schebah steckte. Ich zog ihn heraus und konnte dann den Hals aus der Gabel nehmen. Jetzt galt es nur noch, den Riemen, welcher meine Füße verband, zu lösen. Man hatte eine Schleife gemacht; ich zog sie auf und befand mich nun im vollen Besitz meiner Glieder. Zwar hingen die Eisenschellen noch an meinem rechten Handgelenk, doch anstatt mir hinderlich zu sein, konnten sie mir vielmehr als eine nicht zu verachtende Waffe dienen.
Was nun? Ben Nil und Selim befreien? Das ging nicht; das brachte mich wieder in Gefahr, da sie scharf bewacht wurden. Aber wenn Ibn Asl erwachte und meine Flucht entdeckte, so mußte er annehmen, daß sein Plan durch mich verraten werde, und dann war es um das Leben der beiden geschehen. Die Sache war kritisch, befreien konnte und hierlassen durfte ich sie nicht! Aber wie nun, wenn ich Ibn Asl unschädlich machte? Konnte ich überhaupt fort, ohne mich seiner zu versichern? Sollte er mir etwa abermals entgehen? Nein, nein und zum drittenmal nein! Entweder nichts gewagt, oder alles gewagt!
Ich legte mich auf den Bauch und kroch leise, leise zu ihm hin, die Kette festhaltend, damit sie nicht klirre. Sein Atem ging hörbar und regelmäßig; er schlief. Sollte ich ihn erschlagen, mit seinem eigenen Messer erstechen? Nein; ein Mörder bin ich nicht. Ich tastete mich an seinem Leib empor – ein Griff nach seiner Kehle und ein Fausthieb nach seinen Schläfen – ein halb erstorbenes Röcheln; er war mein!
Nun hinaus, und zwar mit ihm! Ich zog ihm das Messer und die Pistole aus dem Gürtel, denn er schlief mit diesen beiden Waffen, und richtete mich auf. Vorn am Zelt die Wächter, hinten Büsche, rechts Büsche, links aber ein freier Raum; das hatte ich gesehen. Das Messer war scharf. Ich schnitt auf der linken Seite die Zeltleinwand auf, nahm Ibn Asl empor und drängte mich hinaus, freilich nicht so schnell, wie es erzählt werden kann, denn es galt, auch das leiseste Geräusch zu vermeiden. Draußen angekommen, warf ich den Betäubten über meine rechte Achsel und tastete, ihn mit einer Hand festhaltend, mich mit der andern weiter. Ich kam durch die Lücke im Buschwerk glücklich hindurch, wendete mich links, hinter den dort angebundenen Ochsen weg, und trachtete nun, glücklich aus dem Wald ins Freie zu kommen. Es gelang.
Nun war mir das Terrain sehr gut bekannt. Rechts ging es nach dem See; ich wandte mich also nach dieser Seite. Ibn Asl war schwer, und ich hatte keine Zeit zu verlieren. Durfte ich mich da mit ihm bis hinauf in das Dorf schleppen, eine halbe Stunde weit? Nein. Ich hatte seitwärts von meinem jetzigen Weg einen mittelstarken Baum gesehen; den suchte ich auf. Das war nicht sehr schwer, denn es war über neun Uhr geworden, und die Sterne leuchteten mir. Bei dem Baum angekommen, legte ich Ibn Asl zunächst nieder, um nach Fesseln zu suchen. Den Riemen von meinen Füßen hatte ich eingesteckt. Meines Gefangenen Gürtel und langes Turbantuch reichten aus; dazu sein eigener Fes als Knebel. In Zeit von zwei Minuten war er so fest an den Baum gebunden, daß er aus eigener Kraft unmöglich loskommen konnte; der Knebel verhinderte ihn am Schreien.
Nun rannte ich nach dem See. Dort angekommen, blickte ich nach oben, nach dem Dorf. Es war alles dunkel. Man war ganz gegen die Voraussetzung der Kundschafter doch zeitig schlafen gegangen. Ich lief den Berg empor. Dabei dachte ich nach, was nun zu geschehen habe. Das Lager zu überrumpeln, dazu gehörte gar nicht viel. Aber konnte ein Blutvergießen
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