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291 - Die heilige Stadt

291 - Die heilige Stadt

Titel: 291 - Die heilige Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Schwarz
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als wahre Offenbarung an.
    Zwei Wochen später starb Khyentses Vater Dampa. Alle aus der Eliteklasse zeigten sich maßlos erstaunt, dass Khyentse ihrem Vater als Große Rätin nachfolgte, denn die Nachfolge eines in die Wiedergeburt Verabschiedeten stand normalerweise dem aktuell besten Schüler der Eliteklasse zu, und das wäre Chan gewesen.
    Chan wurde mit den Worten abgespeist, dass er in seinem Wesen der Aufgabe noch nicht gewachsen sei. Er lachte heimlich darüber, denn er hatte längst gewusst, dass es so kommen würde. Das Studium der Ratslisten hatte es ihm bewiesen: Wenn das Kind eines Großen Rats die Eliteklasse besuchte, während er sich in die Wiedergeburt verabschiedete, dann folgte ihm immer sein eigen Fleisch und Blut nach, nicht der Beste. In den letzten dreihundert Jahren war das insgesamt siebenmal der Fall gewesen.
    Chan war sicher, dass Khyentse ihre Liebesbeziehung auch als Große Rätin fortsetzen würde. Er täuschte sich nicht.
    Khyentse, mein Liebling, du wirst mir zu dem geheimen Wissen verhelfen, an das ich unbedingt kommen will. Wahrscheinlich wird es ewig dauern, bis ich Großer Rat werde, wenn überhaupt. Aber ihr könnt mich nicht aufhalten, ihr seid mir und meiner Intelligenz nicht gewachsen.
    Chan kicherte lautlos in sich hinein, als Khyentse inthronisiert wurde und dabei doch nur Augen für ihn hatte.
    ***
    März 2527, Gegenwart
    Jetzt, da das Ziel der langen Reise greifbar nah sein musste, herrschte angespannte Stimmung an Bord der MYRIAL II. Rulfan pilotierte das Luftschiff scheinbar gelassen durch die gigantischen, tief verschneiten Bergschluchten des Himaalya, an senkrecht abfallenden, zerklüfteten Felswänden vorbei, die so mächtig aufstiegen und abfielen, dass das Fluggerät winziger und verlorener als eine Flegge vor sich himmelhoch auftürmenden Orkanwolken wirkte.
    Matthew Drax grinste still in sich hinein, als ihm dieser Vergleich in den Sinn kam. Er saß neben Aruula und konnte sich an den wilden Szenerien nicht sattsehen. Auch Alastar starrte zum rundum laufenden Panoramafenster der Gondel hinaus, allerdings auf der anderen Seite. Seit der Sache in Tuurk, als er eine Guulsippe gekillt hatte, die Aruula ans Herz gewachsen war [2] , herrschten immer wieder Spannungen zwischen den beiden. Daran hatten auch die folgenden, gemeinsam bestandenen Abenteuer wenig ändern können.
    Matt beobachtete den Chefexekutor. Dessen Hand fuhr immer wieder kurz an das linke Ohr, das nur noch in Fragmenten existierte. Einer der Guule hatte es abgebissen. Wahrscheinlich juckte die Narbe. Oder Alastar war so nervös wie Matt; der Mann aus der Vergangenheit jedenfalls verspürte schon seit Stunden ein unangenehmes Ziehen im Bauch.
    Xij hingegen saß im Schneidersitz auf dem Boden und spielte mit einem Lederbecher und drei Würfeln, die sie nebst anderen Dingen aus dem Zirkus des Schreckens am Kaspischen Meer hatte mitgehen lassen. Sie war dabei so konzentriert, als hinge ihr Leben davon ab. Es schien Matt fast, als sei sie in eine Art Trance verfallen, um das, was um sie herum vorging, nicht mitbekommen zu müssen. Dabei bewegten sich ihre Lippen so lautlos wie beständig.
    Wudan, auf was haben wir uns da bloß eingelassen? Wir werden Agartha nicht finden, weil das unterirdische Königreich nur eine Legende ist. So sieht's aus. Jetzt, so kurz vor dem Ziel, kommt mir das Ganze immer verrückter vor. Irgendwie müssen wir alle einen an der Klatsche haben…
    Das Luftschiff glitt über einen Bergrücken hinweg. Darunter öffnete sich ein weites Tal.
    »Schaut mal, dort vorne!«
    Rulfans Stimme. Matt schreckte hoch. Gleich darauf stand er mit Aruula und Alastar hinter dem Piloten. »Was gibt's? Ich sehe nichts außer Landschaft und Schnee.«
    »Hm, ich muss mich wohl getäuscht haben.« Rulfan runzelte die Stirn. »Für einen Moment war mir so, als hätte ich zwischen den Berggipfeln am Talende ein zweites Luftschiff gesehen. Viel größer als unseres und irgendwie eleganter geformt.«
    »Vielleicht taucht's ja noch mal auf«, sagte Alastar.
    Fehlanzeige.
    »Wahrscheinlich eine Schnee-Fata-Morgana.« Matt grinste. »Vielleicht hat sich sogar unser eigenes Luftschiff in einem Schneeflimmern gespiegelt.«
    Danach war wieder Ruhe. Seit den Gärten von Sha'mar in Afghanistan hatte sich nichts Aufregendes mehr ereignet. Heute Morgen hatten ihnen dann einheimische Hirten den ungefähren Weg nach Lhasa, das jetzt wohl Lhaase hieß, gewiesen. Matt hatte es nur mäßig gewundert, dass Xij ganz plötzlich

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