291 - Die heilige Stadt
Lhasaer mit den braunen Gesichtern, die ein wenig so aussahen, als wären sie von faltiger Lederhaut überzogen, umringten die Ankömmlinge voller Scheu. Der eine oder andere wagte es sogar, sie zu berühren, auch wenn die Hände danach schnell wieder zurückgezogen wurden. Rulfan mit seinen langen weißen Haaren und den roten Augen durfte sich im Moment als absoluter Star tibetischer Verehrung fühlen. Vor allem die Frauen jeden Alters wollten ihn bestaunen.
Alastar war der Einzige, der von der allgemeinen Zuneigung ausgeschlossen blieb. Im Gegenteil: Die Menschen begegneten ihm ob seines Aussehens mit offenem Entsetzen. Matt hörte einige Male das Wort »Yama« und musste innerlich grinsen, als er Xij nach der Bedeutung fragte. Es handelte sich um den tibetischen Totengott, der auch schon mal mit dem Teufel gleichgesetzt wurde. Alastar schien die allgemeine Ablehnung mit Würde zu ertragen, vielleicht genoss er die Furcht der anderen sogar.
Auch die MYRIAL II war Gegenstand der allgemeinen Bewunderung. Vor allem Männer betasteten die Gondel, zwei stiegen sogar ins Innere.
»Sie nennen unseren Zeppelin Himmelsschiff der Götter «, stellte Xij fest. »Dann dürfte wohl klar sein, als was sie uns betrachten.«
»Hm.« Matt kam für einen Moment Rulfans Luftschiffsichtung in den Sinn.
Eine Stunde später hatten sie Quartier in einer großen Herberge bezogen, die an einer der geräumten Ausfallstraßen lag. Sie saßen in der verrauchten, gut frequentierten Gaststube an einem großen hölzernen Tisch in der Ecke. Xij bestellte für alle Buttertee und Kekse mit Yakbutter sowie Tsampa , einen Topf Vollkornmehl aus gerösteter Gerste, das mit dem heißen Buttertee angerührt wurde.
Aruula verzog das Gesicht, als sie das Tsampa probierte. »Bei Wudan, das schmeckt, wie es riecht; wie die Ausdünstungen einer brunftigen Wisaau. Ich danke Wudan, dass ich nicht in dieser Ecke der Welt leben muss. Xij, könntest du mal fragen, ob man hier auch ein ordentliches Stück Fleisch bekommt?«
Die Eingangstür öffnete sich. Zwei Männer traten ein, ein junger und einer, der um die Fünfzig sein mochte. Beide waren großgewachsen und hager. Sie bewegten sich mit der Geschmeidigkeit von Raubkatzen, waren kahl rasiert und trugen orangerote Hemden und Hosen. Zweifellos Mönche.
Alastar erstarrte. Die beiden sahen genauso aus wie die Typen, die er bei Canduly Castle beseitigt hatte, weil sie ihn überfallen und entführt hatten, um herauszufinden, was er über Agartha wusste. Seine Opfer hatten die gleichen Elektrostöcke benutzt, wie sie auch in den Leibkordeln der beiden Glatzköpfe steckten.
Die steuerten direkt auf den Tisch der Fremden zu und verneigten sich leicht. »Ich grüße euch. Verzeiht unsere Kühnheit, aber gestattet ihr uns, dass wir uns ein wenig zu euch setzen?«, fragte der Ältere, der sich als Lodrö und seinen Begleiter als Wang vorstellte.
Nicht nur Matt war verblüfft. Lodrö hatte sie in der Sprache der Wandernden Völker angesprochen!
Auf Matts entsprechende Frage antwortete Lodrö: »Manchen ist es gegeben, in der ganzen Welt zu lernen, um zur Erlösung zu gelangen, anderen nur in der Enge ihrer Heimat. Wir haben viele Jahre Euree bereist und freuen uns, wieder Menschen von dort zu treffen. Aber wenn wir eine Last für euch sind, verschwinden wir sofort wieder.«
Matt bat sie, Platz zu nehmen.
»Wir haben nicht oft Besuch aus Euree hier in Lhaase«, sprach Lodrö weiter und trank dankbar den von Aruula angebotenen Buttertee. »Und schon gar keinen, der mit einem Luftschiff hier ankommt. Das ist sehr interessant…«
In der Folge verwickelten Lodrö und Wang vor allem den Luftschiff-Experten Rulfan in ein Fachgespräch über den Zeppelinbau im Allgemeinen und die MYRIAL II im Besonderen. Auf die Frage, woher ihr Interesse käme, antworteten sie ausweichend; ihr Wissen sei rein theoretischer Natur, sie hätten in der Bibliothek ihres Klosters schon viel über diese seltsamen Fluggeräte und ihren Bau gelesen.
»Was ihr nicht sagt«, höhnte Alastar und ging ganz unverblümt zum Frontalangriff über. Jedes seiner Worte war so scharf wie seine Exekutoren-Dolche. »Die Leute hier nennen unser Luftschiff Himmelsschiff der Götter . Das heißt also, sie haben schon Zeppeline gesehen und bringen sie mit höheren Wesen in Verbindung. Und wisst ihr was? Keine halbe Tagesreise von hier sind wir in den Bergen ebenfalls einem Luftschiff begegnet. Es gibt also welche hier vor Ort und ihr habt damit zu
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