292 - Chimären
über ihre Träume. Sie wollte nicht als verrückt abgestempelt werden, weil sie sonst keine Karriere als Hilar machen konnte. Das aber wollte sie unbedingt. Und lernen.
Schließlich fallen ihr doch die Augen zu. Sie geht durch eine große Stadt am Meer mit wunderschönen Palästen. Sie ist Francesca und liebt diese Stadt, in der sie aufgewachsen ist. Venedig. Bald ist wieder Karneval. Sie muss noch Teile ihres neuen Kostüms nähen. Da es heiß ist, legt sie sich im Mieder auf ihr Bett.
Plötzlich steht der Kerl in ihrem Schlafzimmer. Ein junger Mann mit muskulösem, sehnigen Körper, einem gut geschnittenen asiatischen Gesicht, wie sie es von Zeichnungen Orientreisender kennt, kurzen braunen Haaren und einem gierigen, mitleidlosen Funkeln in den Augen.
Sie erschrickt, denn sie weiß genau, was dieses Ungeheuer will. Er ist vor Jahren schon einmal da gewesen, um sie gegen ihren Willen zu nehmen, aber er hat es nicht ganz geschafft, jetzt fällt es ihr wieder ein. Panik steigt in ihr hoch, sie kann nicht mehr klar denken, hat nur noch Angst.
Der Mann, der Chan heißt, jagt sie durch das Zimmer, hinein in schroffe, schneebedeckte Täler eines riesigen Gebirges und durch gigantische Höhlen, die sich darunter erstrecken. An einer riesigen Maschine, die hinter ihrem Bett aufragt und seltsame schwarzviolette Rautenmuster erzeugt, bleibt sie schließlich hängen. Sie gibt sie nicht mehr frei und ermöglicht so ihrem Verfolger in den eng anliegenden, mit Blumenmustern verzierten Hosen und dem roten Überwurf, sie zu fangen.
Er nimmt sie so brutal, dass die fürchterlichen Schmerzen und die roten Schlieren, die vor ihren Augen wabern, eins werden mit dem Gefühl der Scham, der Erniedrigung und des Hasses auf diese furchtbare Bestie, der sie nicht entkommen kann…
Schreiend fuhr Triva aus dem Schlaf hoch. Ihr Herz klopfte hoch oben im Hals, mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in die Finsternis. Danara und Sukmanda stürzten ins Zimmer.
»Du hattest Albträume, nicht wahr?«, beruhigte sie ihr Vater und strich ihr über die schweißnassen Haare. »Das passiert, wenn man erwachsen wird. Nur ein Traum, nichts weiter…«
Warum tut mir dann der Unterleib so schrecklich weh, als sei ich tatsächlich vergewaltigt worden? , dachte Triva voller Panik. Wischnu, was hast du nur mit mir vor?
***
März 2527, Gegenwart
Matthew Drax war noch schlaftrunken, als es an die Tür klopfte. Neben ihm schnarchte Aruula leise und ließ sich auch durch neuerliches Klopfen nicht stören.
»Moment!« Matt schlüpfte aus dem Bett und ging in Unterhosen zur Tür. Sie hatten gestern noch das Nachtleben von Agartha kennengelernt und waren erst spät und leicht angetrunken zurückgekommen.
Lodrö stand draußen. Er grinste breit. »Schon wieder fit? Dann lasst uns frühstücken.«
Matt knurrte. Er revidierte das leicht angetrunken zu einem schwer angeschlagen . »Mitten in der Nacht?« Im gleichen Moment registrierte er die Helligkeit hinter Lodrö. Es musste schon später Vormittag sein.
»König Lobsang ist zurück«, verkündete Lodrö. »Er will dich sprechen. Ich dachte mir, eine kleine Stärkung vorher täte euch ganz gut.«
Eine halbe Stunde später saßen sie beim gemeinsamen Frühstück. Rulfan kämpfte mit einem heftigen Kater. Aruula, die nur an den Getränken genippt hatte, aber keinen Alkohol vertrug, ging es nicht ganz so schlimm.
»Ist das schon die offizielle Audienz?«, fragte Alastar und Matt glaubte zu bemerken, dass der Chefexekutor ein wenig nervös wurde.
»Nein. Der König will Maddrax in seinen privaten Räumen sprechen. Und er besteht darauf, dass auch Aruula mitkommt. Ihre Schönheit scheint Eindruck auf ihn gemacht zu haben.«
Für Alastar und Rulfan galt die Einladung zur Privataudienz also nicht, doch zumindest Letzterer schien darüber ganz froh zu sein.
Lodrö führte Matt und Aruula zu den Privaträumen Lobsangs. Zweimal wurden sie von schwer bewaffneten Soldaten mit Körperscannern abgetastet. Dann fanden sie sich in einem vergleichsweise bescheiden ausgestatteten Raum wieder, der durch einen angebauten Wintergarten eine prächtige Aussicht über die Palastgärten und den Stadtteil dahinter bot.
Der König der Welt trat ins Zimmer. Sie hatten ihn bereits kennengelernt. Lobsang Champa musste ziemlich alt sein, aber der mittelgroße, kahlrasierte Mann mit den freundlichen Augen bewegte sich immer noch geschmeidig wie ein Junger. Er trug eng anliegende, mit Blumenmustern verzierte, in
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