292 - Chimären
beugte sich vor und lugte an Rulfan vorbei. »Wie schade, dass die ausgesuchte Schönheit nicht neben mir sitzt«, sagte er breit grinsend. Auch er beherrschte die Sprache der Wandernden Völker fast akzentfrei. »Du bist Aruula, nicht wahr?«
»Wenn ich im Weg bin, brauchst du es nur zu sagen«, knurrte Rulfan, noch bevor Aruula antworten konnte.
»Ach was, lass stecken.« Lhündrub nahm sich wieder zurück. »Du musst Rulfan sein. Ich habe gehört, dass du dieses Luftschiff, mit dem ihr gekommen seid, fast alleine gebaut hast.«
»Nicht ganz.«
Lhündrub schien heute seinen Dauergrinstag zu haben. »Reife Leistung, wirklich. Ich hab mir das Ding mal angesehen. Ist natürlich ziemlich primitiv im Vergleich zu unseren, aber ihr habt aus den Materialien, die ihr zur Verfügung hattet, das Beste gemacht. Einige Konstruktionen haben sogar mich überrascht. Wie habt ihr zum Beispiel das mit den Solarzellen hingekriegt?«
Als Lhündrub mit Rulfan über Luftschiffbau zu fachsimpeln begann, konnte sich Aruula erneut dem Lauschen widmen. Auch wenn der König gestern einen rechtschaffenen Eindruck gemacht hatte, war sie doch weit entfernt davon, ihm wirklich zu trauen. Deswegen wollte sie ergründen, ob Lobsang Champa ein Intrigenspiel mit ihnen trieb oder es ehrlich meinte.
Zunächst konzentrierte sie sich ganz auf ihn, konnte aber keine bösen Gedanken auffangen. Sie erfuhr lediglich, dass der König die Audienz erst beginnen würde, wenn die Getränke serviert waren.
Aruula richtete ihren Lauschsinn nun auf Khyentse, die ihr fast gegenübersaß und seltsam abwesend wirkte. Doch sie wurde abgelenkt.
Es klirrte leise. Zwei mechanische Diener schoben breite Servierwagen herein. Auf ihnen standen große Glaskaraffen mit verschiedenen Getränken. Die Roboter fragten nach den jeweiligen Wünschen und schenkten die Getränke in die bereitstehenden blauen Steinpokale.
Dann hob Lobsang Champa seinen Pokal. Die anderen taten es ihm nach.
»Auf Agartha«, sagte er. »Die außerordentliche Anhörung der Außenweltler ist eröffnet.«
»Auf Agartha.«
Khyentse war die Erste, die an ihrem Getränk, einem blauen Traubensaft, nippte. Auch Gelongma neben ihr trank in großen Schlucken, drei weitere Räte ebenfalls.
Aruula, die weiterhin lauschte , schreckte plötzlich hoch. Der Schrecken stand ihr ins Gesicht geschrieben!
Sie schlug dem verdutzten Matt, der gerade trinken wollte, den Pokal aus der Hand. Er polterte auf den Tisch und der Inhalt ergoss sich über die Platte.
Schon hatte Aruula ihren eigenen Pokal in der Hand, leerte den Inhalt über ihre Schulter und nutzte die Bewegung gleichzeitig zum Ausholen. Ein gezielter Wurf prellte dem König seinen Pokal aus der Hand.
»Nicht trinken!«, brüllte Aruula. »Es ist vergiftet!«
Die Runde erstarrte. Rulfan und Lhündrub wurden bleich, Khyentse ebenso. Die Dolmetscherin übersetzte Aruulas Worte für alle.
Bevor sie noch fertig war, begann Gelongma grässlich zu röcheln und die Augen zu verdrehen. Sie fasste sich an den Hals, schnappte verzweifelt nach Luft und hatte plötzlich Schaum vor dem Mund. Unvermittelt sank ihr Oberkörper nach vorn, ihr Kopf knallte auf die Tischkante. Auf der linken Wange blieb Gelongma liegen. Gebrochene Augen in einem fast bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Gesicht schienen den König anzuklagen.
Lhündrub schrie nach Medikern. Einer der Servierroboter rauschte ins Zimmer. In diesem Moment begann Vizekönig Shenpen die gleichen Symptome wie Gelongma zu zeigen. Es gelang ihm noch, aufzustehen und ein paar Schritte zu tun. Doch als er zusammenbrach, war auch er bereits tot.
Matt erwartete spätestens jetzt eine Panik, aber die Großen Räte waren zu gut ausgebildet. Sie blieben ruhig, warteten auf die Rettungsmediker.
Aruula zeigte auf Khyentse. »Sie hat es getan!«, rief sie mit funkelnden Augen. »Sie wollte uns alle töten. Alastar hat sie dazu gezwungen!«
Matt schaute Aruula an, als zweifle er an ihrem Verstand. Alastar? Was hat der damit zu tun?
»Sie hat auch getrunken!«, fuhr Aruula fort. »Und ihr ist nichts passiert!«
Das überzeugte die Räte. Lhündrub und Tendzin, ein noch junger, kräftiger Mann, näherten sich drohend der alten Rätin.
In diesem Moment stürmten vier Rettungsmediker mit ihrer Ausrüstung in den Saal. Für einen Moment entstand Verwirrung, die Situation wurde unübersichtlich. Khyentse erhob sich aus ihrem Sessel. Gleichzeitig kam ihre Hand unter der Robe hervor. Sie hielt eine Laserpistole - und die
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