292 - Chimären
Oder? Etwas zog sie wie magisch immer tiefer in den Bauch der Erde. Sie erreichte einen Raum, in dem eine mächtige Maschine stand. Drei Mönche, die ihr den Rücken zuwandten, standen oder knieten andächtig davor.
Die Gedankensphäre !
Endlich, endlich war sie angekommen. Bei sich selbst angekommen. Sie spürte Befriedigung, Erregung und Angst zugleich.
Einer der Mönche drehte sich abrupt zu ihr um. Sie fuhr mit einem schrillen Schrei zurück. Chan grinste sie an. Böse, gemein, lüstern. Sie drehte sich um und floh vor der Bestie, kreuz und quer durch Agartha. Immer wenn sie glaubte, innerhalb der Höhlen, Felsendome und Steinfelder ein sicheres Versteck gefunden zu haben, immer wenn sie gerade aufatmete, stand Chan schon wieder hinter ihr.
Als ihre Panik nicht mehr auszuhalten war, als sie sich, fast nicht mehr bei klarem Verstand, hin und her warf, fiel er über sie her und nahm sie mit der schlimmsten Gewalt, die sie je erlebt hatte. Dann schleifte er sie zum Richtblock und übergab sie dem Henker mit der roten Kapuze und dem halbrunden, im Sonnenlicht glänzenden Richtbeil.
Der Henker drückte ihren Kopf auf den Richtblock. Xij schrie; sie wollte nicht sterben, wollte weg von diesem schrecklichen Ort!
Der Todestraum verlieh ihr für einen Moment unmenschliche Kräfte. Sie spannte ihren ganzen Leib und entlud die angestauten Energien in einer einzigen Bewegung.
Die Fixiergurte rissen ratschend. Xij erhob sich vom Bett, riss sich eine Kanüle aus der Armbeuge, warf den Ständer um, zerschmetterte dabei das Glas mit milchiger Flüssigkeit darin und schaute sich mit unkoordinierten Kopfbewegungen um. In ihren Augen glänzte der Wahnsinn.
Zwei Pflegerinnen stürzten ins Zimmer. Eine hielt eine Spritze in der Hand. »Beruhige dich wieder. Wir tun dir nichts, ja?«, sagte sie mit monotoner Stimme und machte den kleinen Schritt zu viel auf die Kranke zu.
Xijs rechter Fuß flog ansatzlos hoch. Er krachte gegen den Unterarm der Pflegerin. Mit einem Aufschrei ließ sie die Spritze fallen. Xij ließ das Bein gestreckt, verlagerte nur etwas das Gleichgewicht auf dem linken Fuß, zog dabei den Unterschenkel zurück und trat mit voller Wucht in den Bauch der Pflegerin. Gurgelnd brach sie zusammen, während die andere wie gelähmt dastand.
Als sie den Alarmknopf auf ihrem Handheld-Computer drücken wollte, kümmerte sich Xij auch um sie. Ihr rechter Arm schoss vor, der Handballen krachte gegen den Kinnwinkel der älteren Frau. Es knirschte im Genick, als ihr Kopf abrupt zurückflog. Ihre Augen verdrehten sich, während sie nach hinten taumelte und zusammensank.
Zwei weitere Pfleger, die sich ihr in den Weg stellten, konnten Xij ebenfalls nicht stoppen. Nackt verschwand sie aus der Krankenstation und gleich darauf in den Tiefen Agarthas.
***
Bereits einen Tag nach Matts persönlichem Gespräch mit Lobsang Champa lud der König zur offiziellen Audienz. Weil neben dem Thema Streiter auch die angeblichen Versteinerten noch einmal Thema waren, wollte der Große Rat Khom die ganze Reisegruppe sehen.
Matt und Aruula badeten zuvor ausgiebig in ihrem mit Mosaiksteinen ausgekleideten Schwimmbecken und stellten sich danach unter die Warmlufttrocknung. Aruula liebte den sanften Luftstrom aus den Wanddüsen, der so schön auf dem Körper kitzelte, aber heute konnte sie ihn nicht genießen. Xijs Flucht aus der Krankenstation, bei der sie eine Pflegerin schwer verletzt hatte, beschäftigte sie zu sehr. Immer wieder schnitt sie das Thema Matt gegenüber an.
Als sie sich gerade angezogen hatten, wankte Alastar in ihre Räume. Er hielt sich an einer Kommode fest.
»Was ist denn mit dir?«, wollte Matthew wissen.
»Mir geht's nicht gut. Ich muss etwas Falsches gegessen haben«, flüsterte Alastar. »Ständig muss ich auf den Abtritt. Ich kann unmöglich an der Audienz teilnehmen. Ihr müsst ohne mich gehen.«
Matt nickte. »Sollen wir dich zur Krankenstation bringen? Oder einen Mediker kommen lassen?«
»Ich habe mir den Magen verdorben, mehr nicht«, zischte der Chefexekutor. »Es ist von alleine gekommen, es wird auch von allein wieder gehen.« Damit drehte er sich um und drückte sich an Rulfan vorbei aus dem Zimmer.
»Was ist denn mit dem los?«, wollte der Albino wissen.
»Magenverstimmung. Ich bin sogar ganz froh, dass er nicht mitkommt. Je weniger er vom Streiter erfährt, desto besser.«
»Gut siehst du aus in deinen agarthischen Kleidern«, stellte Aruula in Richtung Rulfan fest.
»Ihr aber auch.«
Lodrö holte
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