2939 - Die Rache der »Engel«
Agent Decker. Ich bin mir sicher, dass der Mann vorgestern Abend hier gegessen hat. Und er war nicht allein. Es war noch ein anderer Gentleman bei ihm.«
Vorgestern Abend? Einige Stunden später, zwischen ein und zwei Uhr früh, war Eddie Stack erschossen worden. Nun konnte sich die junge Frau unserer ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein.
»Beschreiben Sie uns bitte seinen Begleiter«, bat ich. Beniko Masuda nickte, schürzte nachdenklich die Lippen und schloss einen Moment lang die Augen. Dann begann sie zu sprechen.
»Der andere Mann war bedeutend kleiner als die Person auf dem Foto, Agent Cotton. Er überragte mich kaum um einige Fingerbreit, und ich bin gerade mal eins fünfzig. Der Mann hatte dunkles Haar und war glatt rasiert. Er trug keine Brille. Von der Figur her würde ich ihn als athletisch beschreiben. Er trug ein Polohemd mit kurzen Ärmeln, sodass man seine muskulösen Arme sehen konnte.«
»Hatten Sie den Eindruck, dass die beiden Gäste sich kannten?«, hakte ich nach.
»Das kann ich nicht beurteilen. Der Mann auf Ihrem Foto kam eine Viertelstunde vor seinem Begleiter. Als der Kleinere eintraf, begrüßte ich ihn und wollte ihn zu einem freien Tisch führen. Aber da gab der andere ein Handzeichen, und der neu eingetroffene Gast sagte, er würde von dem anderen Gentleman erwartet.«
»Waren das seine genauen Worte?«, vergewisserte sich Phil. »›Ich werde von dem anderen Gentleman erwartet‹?«
Die Kellnerin überlegte einen Moment.
»Nein, das sagte er nicht. Ich glaube, er murmelte etwas wie: ›Meine Verabredung sitzt bereits dort drüben‹. Also führte ich den kleineren Mann zu dem bereits Wartenden.«
»Gaben die Männer sich die Hand? Gingen sie freundschaftlich miteinander um?«
»Nein, Agent Cotton. Die Begrüßung fiel eher kühl aus. Aber ihre Namen konnte ich nicht verstehen. Die beiden warteten mit dem Gespräch, bis ich außer Hörweite war.«
»Ich verstehe«, sagte ich. »Aber Sie sind eine gute Beobachterin, Miss Masuda. Fiel Ihnen an der Körpersprache der Männer etwas auf? Stritten sie sich miteinander?«
Die junge Frau schüttelte den Kopf.
»Das kann ich wirklich nicht beurteilen. Jedenfalls wurden sie nicht laut. Ich hatte das Gefühl, dass sie auf keinen Fall Aufsehen erregen wollten.«
Das konnte ich mir lebhaft vorstellen. Wenn ein Dealer und der Kopf einer Organisation, die dem Rauschgift den Kampf angesagt hat, sich miteinander trafen, dann wollte gewiss keiner von ihnen gern bei dieser Begegnung gesehen werden.
Henry Walsh war ja nicht vorbestraft, deshalb hatten wir keine erkennungsdienstliche Aufnahme von ihm. Aber es gab eine Homepage im Internet, wo er seine Dienste als Personal Trainer anbot. Und dort gab es auch ein Foto von Walsh, das ich mir heruntergeladen hatte. Ich legte es auf den Tisch neben das Bild von Eddie Stack.
»Haben Sie diesen Mann auch schon einmal gesehen, Miss Masuda?«
Die Kellnerin rutschte aufgeregt auf der Sitzbank hin und her.
»Ja, Agent Cotton. Das ist der Begleiter des anderen. Ich erkenne ihn genau wieder.«
Phil und ich tauschten einen Blick. Also hatten Eddie Stack und Henry Walsh noch wenige Stunden vor der Ermordung des Dealers miteinander gesprochen. Walsh würde uns einiges zu erklären haben.
***
Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Ich rief Sarah Hunter an und bat sie, die Aussage von Beniko Masuda schriftlich aufzunehmen. Als unsere dunkelhaarige Kollegin in der Sushi-Bar eingetroffen war, machten Phil und ich uns in meinem Jaguar-E-Hybriden auf den Weg zu Walshs Apartment.
»Walsh hat Stack in die Falle gelockt«, mutmaßte Phil. »Es passt alles zusammen, Jerry. Der Archangel gibt sich als interessierter Drogenkäufer aus, er verabredet sich später am Abend mit Stack zu einem Deal. Der Croc-Händler geht darauf ein. Wir haben ja gehört, dass er in seinem verfluchten Job fleißig war und immer mehr Menschen mit seinem Gift beliefert hat. Sie verabreden sich auf dem Parkplatz, wo außer Walsh auch noch einer seiner Kumpane wartet. Und dieser erschießt Stack, während Walsh die Bluttat mit der Videokamera filmt.«
»Ja, so könnte es gewesen sein«, gab ich zu. »Aber wie passt diese gestohlene Corvette in das Bild? Man könnte aus dem Video entnehmen, dass Stack mit dem Auto statt mit Bargeld bezahlt werden soll. Aber das ergibt keinen Sinn. Wenn die Archangels sowieso nicht vorhatten, Drogen zu kaufen, wieso dann das Risiko eines Autodiebstahls eingehen? Zumal, wenn es um so ein wertvolles Modell
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