296 - Totes Land
Auch wenn die flüsternde Stimme in seinem Hinterkopf einen warnenden Tonfall annahm.
»Ich heiße Igoor Tiisiv«, stellte sich der Mann vor. Ungeachtet seiner Nettigkeit glaubte Matt in seinen Blicken Neugier und eine Spur Misstrauen zu entdecken. »Erkennst du mich?«
Matt verstand den Sinn der Frage nicht. »Nein. Müsste ich das?«
Tiisivs Züge entspannten sich. Die letzten negativen Gefühle verschwanden daraus, übrig blieb die Freundlichkeit. »Dann hat die Behandlung gewirkt!«
»Welche Behandlung? Wo bin ich? Wie komme ich hierher? Was ist geschehen?«
»All deine Fragen kann ich dir leider auch nicht beantworten. Wir haben dich im Wald aufgegriffen, wo du völlig orientierungslos umhergetaumelt bist.«
»Ich… ich erinnere mich nicht!«
Igoor Tiisiv setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett und drückte Matts Schulter. »Keine Sorge, das wird schon wieder. Natürlich wissen wir auch nicht, was dir zugestoßen ist, aber wir erkennen ein Opfer des Obersten Liquidators , wenn wir eines sehen.«
Dieser Begriff versetzte Matt einen Stich ins Herz, auch wenn er noch nicht genau wusste, warum.
»Wir haben dich mit in unser Dorf genommen, um dich zu versorgen. Deine Verfassung deutete darauf hin, dass dich der Pryptenführer mental zu etwas gezwungen hat, was du nicht tun wolltest.«
Und plötzlich war die Erinnerung wieder da! Der Sturm, der Angriff durch die Erdwühler, das Erwachen in dem verfallenen Wohnblock - all das nur wie ein mattes Glimmen. Die fürchterlichen Ereignisse vor dem Riesenrad jedoch loderten hell wie ein Johannisfeuer.
»O Gott, was habe ich getan…«, keuchte Matt. Xij und Rulfan waren tot! Und er hatte sie auf dem Gewissen.
Nein, nicht er. Er war nur das Werkzeug gewesen. Der wirkliche Mörder war der Oberste Liquidator . Und dafür sollte der Scheißkerl bezahlen.
»Er hat dir Gewalt angetan«, fuhr Tiisiv fort. »Wenn auch nur im Geiste. Doch dadurch warst du in Gefahr, jeden Realitätsbezug zu verlieren. Deshalb mussten wir dich mit einem Extrakt aus Erdwühlergift behandeln, um dich innerlich zu reinigen.«
»Ich kann mich an nichts davon erinnern!«
Igoor nickte mitfühlend. »Das ist leider eine Nebenwirkung der Behandlung. Die Erinnerung an die letzten Stunden geht verloren.«
Deshalb also wusste er nicht mehr, wie er aus Prypt entkommen war. Deshalb herrschte in seinem Gedächtnis nach Xijs Tod Leere.
Da erklang die Flüsterstimme in seinem Hinterkopf erneut. Diesmal konnte er sie verstehen. Er fuhr hoch, ohne dass ihn Tiisiv daran hinderte.
»Ihr seid die Hageren, vor denen sich die Prypten fürchten!«, stieß er hervor.
Auf Igoors Gesicht legte sich ein trauriges Lächeln. »Haben sie das so erzählt?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie fürchten sich nicht vor uns. Sie wollen uns vernichten!«
Matt klangen noch die Worte des Obersten Liquidators in den Ohren. Dessen fanatische Ansprache, der beinahe schon greifbare Hass auf die Nosfera ließ die Wut in seinem Inneren noch heißer lodern. »Warum wollen sie das?«
»Das sind die Nachteile der Behandlung«, meinte Tiisiv. »All das habe ich dir nämlich bereits vor ein paar Stunden erzählt, nur hast du es leider wieder vergessen. Deshalb hier nur noch einmal die Kurzfassung: Wir wissen nicht, weshalb sie uns so verabscheuen. Natürlich, ich gebe ja zu, dass wir uns ab und zu mal einen der Prypten schnappen, um uns von seinem Blut zu ernähren. Aber das tun wir nur bei jenen, die unser Dorf in der Absicht heimsuchen, uns zu schaden. Ansonsten trinken wir das Blut der Tiere in der Umgebung. Dennoch wollen sie uns vernichten, allen voran der Oberste Liquidator .«
Er stockte für einen Augenblick und sah betreten zu Boden.
»Sie haben meine Gefährtin umgebracht. Ein Jahr ist das jetzt her. Sie haben sie nach Prypt verschleppt und vor dem Riesenrad öffentlich hingerichtet.« Tiisiv schluckte hart. »Ich finde es erschreckend, das sagen zu müssen, aber ohne den Obersten Liquidator wäre die Welt ein besserer Ort.«
Innerlich stimmte Matt aus ganzem Herzen zu. »Warum habt ihr nie etwas gegen ihn unternommen?«
»Wir verabscheuen Gewalt!«, sagte Igoor voller Überzeugung. Kleinlauter fügte er hinzu: »Außerdem hast du seine Macht kennengelernt! Wir kämen gar nicht nahe genug an ihn heran, um ihm gefährlich zu werden. Und für einen Angriff aus der Ferne fehlen uns die Waffen.«
»Ich habe Waffen!«, sagte Matt.
»Ja?« Tiisiv ließ den Blick skeptisch über Matts blutverschmierte Kleidung
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