296 - Totes Land
Den sauren Schweiß, den fauligen Dunst aus ihren Mündern, aber auch die erzwungene Unterwürfigkeit und den Widerwillen. Und er hörte, wie flüsternde Stimmen in dem Meer aus Gesang trieben. So leise, dass nur er es vernahm. Oder bildete er es sich nur ein?
»Ich hasse diesen Fettsack!«
»Er ist verabscheuungswürdiger als die Hageren!«
»Wenn wir ohne ihn überleben könnten, würde ich von hier verschwinden.«
»Oder ihn umbringen!«
Ja, ihn umbringen! Tu es, Maddrax. Tu es endlich!
Doch ihm war klar, dass er den Kerl von hier aus niemals treffen würde, selbst wenn er dreimal so fett wäre. Er musste irgendwie durch die Menge kommen, ohne dass sie ihn aufhielt. Noch näher an die Quelle der Radioaktivität heran. Aber das machte wohl ohnehin keinen Unterschied mehr.
Plötzlich stockte er. Etwas stimmte nicht.
Richtig: Warum lebten die Prypten noch? Ihr Organismus konnte sich doch unmöglich im Laufe der Zeit an die Strahlung gewöhnt und eine Immunität entwickelt haben! Das war absurd! Ihr Erbgut hatte sich verändert, das zeigten schon die häufigen Missbildungen.
Und was sollte dieser Quatsch mit dem Ritual der Reinheit ? Entweder waren die Menschen immun oder sie waren es nicht. Das konnte auch der Oberste Liquidator nicht nach Belieben an- und ausschalten. Warum also waren sie so abhängig von ihm, obwohl sie ihn augenscheinlich hassten?
Und noch etwas fiel Matt Drax in diesen Momenten der unerwarteten Klarheit auf: Seine Erinnerungen passten nicht zusammen!
Der Rat der Liquidatoren hatte ihn und Rulfan zur Reinigung verurteilt. Wieso hatte man ihn dann zu dieser Hinrichtung auf dem Volksfestplatz gezwungen? Vom Urteil des Rats war da gar nicht mehr die Rede gewesen.
Er verstand es nicht.
Was kümmert es dich, ob du dich in allen Einzelheiten erinnern kannst? Du wirst sowieso nicht mehr lange genug leben. Also zieh jetzt endlich deinen verdammten Plan durch, bevor es zu spät ist!
Die innere Stimme brachte ihn zurück in die Spur. Er torkelte einen Schritt voran, auf die Menschenmenge zu. Der zweite gelang ihm schon sicherer. Und der dritte wirkte selbstbewusst und kraftvoll, auch wenn sein Schädel fast zu platzen drohte.
Selbst die Benommenheit und Desorientierung bekam er besser in den Griff. Ihm war aber klar, dass er diesen Zustand nicht lange würde aufrechterhalten können. Deshalb musste er sich beeilen!
Er benötigte keinen ausgefeilten Plan mehr, wie er Aruula befreien konnte. Sie war verloren. So wie er. Alles was er brauchte, waren der Driller und sein abgrundtiefer Hass auf den Obersten Liquidator .
Er vergaß die Welt um sich, verdrängte die tödliche Strahlung, die Menschenmenge, die Aussichtslosigkeit seiner Situation. Für ihn zählte nur noch, dass der widerliche Fettsack starb.
Matt kam genau drei Schritte weit.
Dann packte ihn jemand am Drillerarm und riss ihn herum. Die schnelle Drehung ließ Matt schwindeln und brachte die Orientierungslosigkeit zurück. Als wäre er durch die Berührung aus einem Albtraum erwacht, nur um sofort in einem noch schlimmeren zu versinken.
»Du!«, hörte er mit der neuen Klarheit seiner Sinne eine Stimme. Er erkannte das dazugehörige Gesicht erst, als es sich ihm bis auf wenige Zentimeter näherte. Anatoli Akimow, ihr ehemaliger Wächter. Der Mann, der alles dafür tun würde, die Gnade des Obersten Liquidators zurückzugewinnen.
Ausgerechnet ihm musste Matt in die Arme laufen. Er knirschte mit den Zähnen und ein weißglühender Schmerz schoss ihm durchs Zahnfleisch.
Denk an deine Mission. Lass dich nicht aufhalten!
Die innere Stimme hatte gut reden.
Matt wollte sich aus Akimows Griff winden, doch ihm fehlte die Kraft. Er stolperte über die eigenen Füße, stürzte zu Boden und zerrte den Wächter mit sich. Noch nie hatte ihm ein Aufprall solche Qualen bereitet. Er hatte das Gefühl, zu zersplittern wie eine Vase.
»Du!«, wiederholte der Prypte. »Zeit, meine Schande zu tilgen.« Er fasste zu einem Halfter am Schutzanzug und zog eine Pistole. Mit sichtlichem Vergnügen richtete er den Lauf auf Matt.
Der wartete auf den Tod. Sehnte ihn geradezu herbei. Doch der Tod kam nicht.
Stattdessen versteifte sich der Körper des Wächters und kippte wie ein Brett zur Seite weg.
Im ersten Augenblick wusste Matthew nicht, was geschehen war. Er blinzelte.
Vor ihm stand ein Liquidator. Er schwankte wie ein Grashalm im Wind, konnte sich kaum auf den Beinen halten. Aber offenbar hatte seine Kraft dafür ausgereicht, den mordlüsternen
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