297 - Die Zeit läuft ab
warten, Leute vom Widerstand an den Solnosc und seine Männer zu verraten.« Sie seufzte tief. »Gegen Diebesbanden gehen die Soldaten allerdings nicht vor. Wären wir beobachtet worden, hätte die Aktion wie ein normaler Überfall ausgesehen, nicht wie ein Manöver des Widerstands.«
Matt war verwirrt. »Wieso überhaupt Widerstand? Gegen den Solnosc? Ich kann mich irren, aber war nicht der ursprüngliche Plan, dass Bunkerkommandantur und der Solnosc bei der neuen Regierung von Waarza zusammenarbeiten sollten?«
Die anwesenden Männer und Frauen lachten freudlos, und auch Jola rang sich ein erneutes Lächeln ab. Ihr Gesicht wurde dadurch einen Moment lang jung und weich.
»So war es zu Anfang auch.« Sie setzte sich auf und rückte den Stuhl zurecht. »Lass mich erzählen, was geschehen ist seit deinem Besuch vor beinahe acht Jahren…«
***
Waarza, September 2519
General Andrzej Koslowski atmete die würzige Luft, die aus den Straßen der Altstadt von Waarza über den Vorplatz zur Jonkathedral herüberwehte, genussvoll ein.
Es roch nach Viehmist, Gebratenem und den Ausdünstungen der öffentlichen Abtritte, aber all das machte ihm nichts aus, waren diese Sinneseindrücke doch immer noch neu für ihn und seinesgleichen.
Jedes Mal, wenn er in den letzten Wochen aus dem Bunker heraustrat, um seiner neuen Gewohnheit - einem ausführlichen Morgenspaziergang - zu frönen, war er schier überwältigt von der Welt, die hier draußen so lange auf ihn und die anderen Technos gewartet hatte. Es war eine Sache, sie durch die Plexiglasscheibe eines Schutzanzugs zu betrachten, und eine ganz andere, alle Geräusche, Gerüche, ja, selbst das Licht ungefiltert auf seinen Körper wirken zu lassen. Koslowski machte sich nichts vor: Der Mensch war nun mal dafür geschaffen, an der Erdoberfläche zu leben, und nicht dafür, sich wie die Maulwürfe im Boden einzugraben.
Auch wenn ihnen nach dem Kometeneinschlag im Jahre 2012 gar nichts anderes übrig geblieben war und nur so die menschliche Zivilisation hatte überleben können.
Während der General die Treppen der Kathedrale hinabstieg, rülpste sein heutiger Begleiter vernehmlich und schickte gleich noch einen geräuschvollen Furz hinterher.
Jola, Koslowskis neunjährige Enkelin, die er an seiner linken Hand hielt, kicherte leise. Das Mädchen hatte die schmutzig blonden Haare, die in den letzten Wochen so schnell gewachsen waren wie noch nie, zu einem Schwanz zusammengebunden. Der Beutel mit dem Serum, das die Bunkerbewohner immun gegen die Keime der Außenwelt machte, zeichnete sich auf Brusthöhe unter ihrem hellblauen T-Shirt ab. »Mama sagt, so was macht man nicht!«, tadelte sie in Richtung des Verursachers unflätiger Geräusche.
»Und Mama hat damit vollkommen recht!«, stimmte Koslowski ihr zu und bedachte den untersetzten Mann zu seiner Rechten mit einem bösen Blick.
»Ach wo!«, machte der Barbar, der seit ein paar Wochen das Amt des weltlichen und auch geistigen Führers der Poolen in sich vereinte. Der amtierende Solnosc watschelte mehr, als dass er ging, linste mit einem seiner Schweinsäuglein in die Schnapsflasche, die er bei sich trug, und knurrte vernehmlich.
Wie es seinem Habitus entsprach, kippte er sich die letzten Tropfen des Gesöffs in die Kehle und schleuderte die Flasche dann von sich. Glasscherben spritzten über den Vorplatz der Kathedrale. Die wenigen Passanten, die sich hier aufhielten, wandten kaum den Kopf. Sie waren es gewohnt, dass Trinkgefäße aus der derzeitigen Behausung des Solnosc herausflogen, und zwar zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Eins der wenigen Dinge, die sich nicht geändert haben, seitdem Matthew Drax und seine Begleiter fort sind , dachte der oberste Techno von Waarza. Das war erst wenige Wochen her, und seitdem hatte sich einiges in der Hauptstadt der Poolen getan.
Commander Drax hatte im Auftrag der Bunkermenschen an dem legendären GePe teilgenommen, dem regelmäßig stattfindenden Wettrennen, dessen Sieger als neuer Jonpoola, als geistiges Oberhaupt aller Poolen galt. Dabei war der ARET, der Bunkerpanzer, den Drax angeblich von der russischen Bunkerliga erhalten hatte, zu Bruch gegangen. Was ihm umso mehr missfallen hatte, da seine Teilnahme… nun ja, durch das Festhalten seines Begleiters Mr. Black bei den Bunkermenschen einen nicht ganz freiwilligen Charakter erhalten hatte.
Aber es war ja für einen guten Zweck gewesen! Der damals amtierende Jonpoola Pjotr hatte ihnen einen Fahrzeug-Prototyp geklaut und war
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