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297 - Die Zeit läuft ab

297 - Die Zeit läuft ab

Titel: 297 - Die Zeit läuft ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Vennemann
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Horsay-Gespannen, den Rufen der Marktschreier und dem anzüglichen Kichern der Kurwas, die ihrem zwielichtigen Gewerbe nachgingen.
    »Der Solnosc verspätet sich«, bemerkte Major Igor Ulichov, der im Raum hinter Koslowski in der Amtstube des Stadtherrn saß und noch einmal die Unterlagen für die eigentlich für jetzt anberaumte Sitzung der beiden Verwalter durchsah.
    Der General wandte den Blick vom Vorplatz ab und ging seufzend zurück an den Tisch. »Also alles wie immer«, murmelte er. »Hoffentlich hat unser trinkfreudiger Kollege sein Mobil nicht vor eine Wand gesetzt.«
    Ulichov zuckte mit den Schultern. »Wäre ja nicht das erste Mal.«
    Koslowski setzte sich in den bequemen Lehnstuhl und fuhr sich mit der Hand über die geschlossenen Lider. Er war müde, hatte den ganzen Tag in den Werkstätten verbracht und sich neue Entwürfe angesehen. Das nächste Projekt… Es gab immer ein »nächstes Projekt«…
    »Sollen wir ohne den Solnosc anfangen?«, fragte der Major vorsichtig und tippte auf seine Unterlagen. »Es gibt einiges, das wir auch ohne ihn klären könnten. Oder besser: klären sollten .«
    Der General richtete sich auf und runzelte die Stirn. »Immer noch Beschwerden von unseren Hilfskräften?«
    Ulichov nickte. »Einige der Unteroffiziere berichten weiter von Anfeindungen und Übergriffen«, sagte er ernst. »Leutnant Rositzki sagt, einer der Straßenbauer wollte ihm den Serumsbeutel entreißen, als er die Neuverlegung des Pflasters in der Ulica Swictojanska begutachtete. Ein weiterer Leutnant sei mit einem Dampfmobil verfolgt worden, sodass er in ein verlassenes Gebäude flüchten musste.« Der Major bedachte den General mit einem eindringlichen Blick. »Solche Vorfälle nehmen in den letzten Monaten überproportional zu, General. Warum das so ist, entzieht sich meiner Kenntnis.«
    Koslowski hatte da schon so eine Ahnung. »Ich fürchte fast, den Waarzanern geht es inzwischen zu gut«, sagte er mit belegter Stimme. »Natürlich merken sie, wie steil es mit der Stadt durch die neuen Techniken bergauf geht - und sie sind sich der Macht bewusst, die das mit sich bringt.« Er lachte freudlos. »Das großspurige Auftreten unseres Bündnispartners, des Herrn Solnosc, trägt auch nicht gerade dazu bei, die Egos der Leute klein zu halten.«
    Hinzu kam noch etwas, das seine Enkelin Jola ihm neulich erzählt hatte. Ihr neuer »Freund« Oleg, der dreizehnjährige Sohn eines Tavernenwirts ein paar Straßen entfernt, hatte berichtet, dass die Warzaaner schon damals, kurz vor dem letzten GePe geplant hätten, einige der umliegenden Provinzen zu annektieren. Nur der Machtwechsel hatte sie davon abgehalten.
    Wieder seufzte der General. »Ich fürchte, was wir den Bewohnern dieser Stadt bieten, ist ihnen nicht mehr genug.«
    Major Ulichov zog zweifelnd die Augenbrauen hoch. »Sie meinen, es könnte einen Aufstand geben?«
    Koslowski erhob sich und ging wieder zu der geöffneten Balkontür hinüber. Mit zusammengekniffenen Augen spähte er auf den Vorplatz und versuchte zu erkennen, ob sich der Solnosc endlich näherte.
    »Die Mitglieder des Sejm werden auch langsam nervös«, meinte der General. »Jeder Versuch, etwas von der Dampftechnologie in andere poolische Verwaltungsbezirke zu exportieren, wird vom Solnosc abgeschmettert. Und das Volk ist nach allem, was man so hört, auf seiner Seite. Ginge es allein nach ihm, hätte er wohl längst schon eine Armee aufgebaut und wäre gegen einige der freien Städte gezogen. Leute dafür würde er wohl genug finden…«
    »Das ist nicht gut«, meinte Major Ulichov. »Dann sitzen wir hier auf einem Pulverfass, General, das in der nächsten Zeit explodieren könnte. Wir…« .
    »Still!«, zischte Koslowski plötzlich. Er legte den Zeigefinger an die Lippen. »Hören Sie das auch?«
    Da war ein Rumpeln, das irgendwann in den vergangenen Minuten begonnen hatte und seither immer lauter geworden war.
    »Was zur Hölle ist das?« Major Ulichov schob seinen Sessel zurück und ging zu dem General hinüber, der nun wieder auf den Balkon getreten war.
    Der Anblick war gespenstisch. Der Vorplatz der Jonkathedral lag jetzt völlig verlassen im Schein der Gaslichter da. Nebelschwaden zogen vom nahen Fluss Wisla heran, die feuchte Luft ließ das Pflaster glänzen. In der Richtung, aus der das Rumpeln erklang, sahen die beiden Technos hellen Widerschein auf den Außenwänden der oberen Stockwerke höher aufragender Wohnhäuser. Es sah aus, als fräße sich langsam eine riesige glühende

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