3. Die Connor Boys: Diese Nacht kennt kein Tabu
weiter. „Wir haben diese Woche viel erlebt. Aufgeschrammte Knie, Moskitostiche und immer wieder Unterbrechungen. Kindergezanke. Verschüttete Milch. Ständiges Telefongeklingel und keine Zeit zum Luftholen, noch weniger um sich in Ruhe zu unterhalten. Aber nichts hat dich aus der Fassung gebracht. Alles hat dir gefallen."
„Klar." Warum hätte es ihr auch nicht gefallen sollen? Sie hatte keine Ahnung, auf was er hinauswollte.
Michael hörte auf, sie zu necken, wurde ernst und nahm ihre Hände zärtlich in seine. „Es gab keinen Champagner und keinen Kaviar, Simone. Und du bist nicht Julia. Sowenig wie ich Benjamin bin, auch wenn ich mein Bestes versucht habe."
„Du hast versucht, so wie dein Großvater zu sein?" Sie hatte das Gefühl, als bekäme sie keine Luft mehr. Wie oft hatte er ihr erzählt, dass er auf keinen Fall jemals so sein wollte wie sein Großvater.
„Er hat sie verführt. Hast du nicht zwischen den Zeilen der Ta gebucheintragungen gelesen? Er hat sie mit den Dingen überschüttet, für die sie empfänglich war. Zeit zum Zuhören, Musik, Tanzen, Kaviar, Champagner und viel Gefühl. Ich habe das auch versucht. Ich habe mich wirklich angestrengt, so zu sein wie er. Vielleicht war das verkehrt. Du hast bestimmt gemerkt, dass es nur ein missglücktes Nachahmen war, aber ich habe noch nie eine Frau so begehrt wie dich. Es gibt nichts, was ich nicht getan hätte, um dich zu gewinnen. Gut, er hat Julia verloren. Aber muss diese Geschich te denn immer so enden?"
Simone wollte keine voreiligen Schlussfolgerungen ziehen. Denn wie konnte sie einen klaren Gedanken fassen, wenn ihr Herz so laut hämmerte und er so enttäuscht war, dass sie die ganze Woche keine Minute für sich allein gehabt hatten? Wahrscheinlich bildete sich nur etwas ein. Sacht berührte sie seine Wange. „Michael..."
„Mich interessiert nicht, was sie verkehrt gemacht haben. Ich weiß nur, was richtig war. Sie haben die Chance ergriffen. Sie sind das Risiko eingegangen. Ich weiß vielleicht nicht, was du möchtest. Es kann sein, dass ich dich nicht verstehe, denn du hast mich vom ersten Tag an schon so verwirrt. Aber ich schwöre dir, Simone..."
Zwei übermütige Jungen kamen die Dachbodentreppe heruntergepoltert.
„Hallo, Dad!" riefen die Zwillinge schon von weitem.
11. KAPITEL
Die Zwillinge waren gestern Abend abgeflogen, und im Augenblick war es im Haus so still wie in einer Kirche. Sogar Michael war weg. Er war vor einer halben Stunde rasch in die Stadt gefahren und hatte versprochen, ein Chinagericht mitzubringen.
Simone wurde schmerzlich bewusst, dass sie nur noch einen ge meinsamen Abend vor sich hatten. Ihr Rückflug ging um drei Uhr morgen Nachmittag. Sie hatte auf dem Dachboden sämtliche Kartons verschnürt, bis auf einen, den sie absichtlich noch offengelassen hatte.
Regen rann über die Dachbodenfenster. Blitze zuckten am dunk len Himmel, und der Wind heulte ums Haus. Es war verrückt, bei solch einem Wetter nackt dazustehen. Simone lief ein feiner Schauer über den Rücken, aber nicht nur wegen der Kälte.
Die Lampe warf ein schwaches Licht auf den offenen Karton. Vorsichtig holte Simone das rote Satinnachthemd mit der schwarzen Spitze heraus. Der Satin war verblasst, die Spitze brüchig, aber diese Fehler fielen bei dem weichen Licht nicht auf. Es war ein Wäschestück, das kaum etwas verhüllte. Als sie es über den Kopf zog, war der Stoff so kühl auf ihrer bloßen Haut, dass sie erneut er schauerte.
Das Nachthemd glitt über ihre Hüften und fiel raschelnd bis zu den Knöcheln. Sie griff nach dem schwarzen Neglige, um es darüberzuziehen. Wie das bei diesen Kleidungsstücken nun einmal so war, verdeckte es ebenso wenig. In der Taille wurde es mit einem dünnen Satinband zusammengehalten. Ihre Fingern bebten, als sie versuchte, es zusammenzuknoten.
Grelles Scheinwerferlicht streifte kurz das Fenster, und Sekunden später hörte sie unten eine Autotür zufallen. Michael war schon zurück.
Hastig schaute sie sich um. Eine der Truhen hatte sie mit einem Leinentuch zugedeckt, um einen provisorischen Tisch herzurichten. Zwei Kerzen standen darauf. Das alte hölzerne Grammophon hatte sie bereits danebengestellt. Es musste angekurbelt werden, damit es lief, und die alten Schallplatten waren ein bisschen zer kratzt. Simone hatte zwei aus der Zeit ihrer Großmutter ausgewählt. „Night and Day" und „Smoke Gets in Your Eyes".
Alles war vorbereitet. Doch oben an der Treppe blieb sie stehen und legte sich eine
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