3 Die Rinucci Brüder: Unter der goldenen Sonne Roms
Todestag. Wie viel bedeutet es Minnie nach vier Jahren noch, überlegte Luke. Trauerte sie immer noch um ihren Mann?
Gegen seinen Willen erinnerte Luke sich daran, dass sie am Abend zuvor Giannis Foto an sich gedrückt hatte, als wäre es ihr einziger Trost.
Während die kleine Gruppe näher kam und sich an ein Grab stellte, das etwas abseits von den anderen Gräbern lag, konnte Luke erkennen, dass Netta und die jungen Männer weinten. Minnie war sehr blass, wirkte jedoch ruhig und gefasst und umarmte Netta, wie um sie zu trösten.
Einer nach dem anderen legte Blumen auf das Grab, und jeder schien einige Worte mit dem Toten zu reden, als wäre er noch da.
Luke war sich bewusst, dass er hätte weitergehen müssen. Doch wie unter einem inneren Zwang blieb er reglos stehen, bis sich Minnie und ihre Familie langsam entfernten.
Plötzlich drehte Minnie sich um und warf einen letzten Blick auf das Grab. Luke atmete scharf ein und wünschte, er hätte sich das alles erspart. Minnies verzweifelte, schmerzerfüllte Miene zu sehen war mehr, als er ertragen konnte, und er senkte den Kopf. Als er wieder aufsah, begegnete er ihrem empörten und ärgerlichen Blick. Wahrscheinlich ist sie jetzt überzeugt, ich wäre ihr absichtlich gefolgt, sagte er sich seufzend.
Mit verächtlich verzogenen Lippen wandte Minnie sich ab und verschwand mit den anderen wieder in der Kirche. Rasch kehrte er in seine Wohnung zurück. Er brauchte Zeit zum Nachdenken. Was für eine Frau war Minnie eigentlich wirklich? Er hatte sie als scharfsinnige, kühle und beherrschte Rechtsanwältin kennengelernt. Am Abend zuvor hatte sie liebevoll und melancholisch mit Giannis Foto geredet, und heute war sie eine verzweifelte, trauernde Witwe.
Erst als es am Abend im Haus völlig still war, ging Luke die Treppe hinunter und klopfte an Minnies Tür. Sie hatte noch Licht an, die Vorhänge waren jedoch zugezogen. Was machte sie gerade? Suchte sie wieder Zuflucht bei Gianni vor der Welt da draußen?
Nach einer scheinbar endlos langen Zeit wurden die Vorhänge geteilt, und ihr Gesicht erschien. Aber sie zog sich hastig wieder zurück.
„Minnie“, rief er, „machen Sie bitte auf, ich muss mit Ihnen reden.“
Sekundenlang geschah gar nichts, und er befürchtete, sie würde ihm nicht aufmachen. Doch dann öffnete sie die Tür einen Spaltbreit.
„Gehen Sie bitte“, forderte sie ihn auf.
„Erst wenn wir geredet haben. Lassen Sie mich hereinkommen.“
Zögernd machte sie ihm Platz, und er betrat die Wohnung. Während er Minnie betrachtete, hatte er das Gefühl, das freundschaftliche, beinah intime Gespräch, das sie am Abend nach Teresas Party geführt hatten, hätte es nie gegeben. Sie war wieder seine Gegnerin, und dieses Mal hatte es nichts mit dem Haus zu tun.
„Ich wollte mich entschuldigen“, sagte er.
„Bilden Sie sich ein, eine einfache Entschuldigung würde genügen, nachdem Sie mir heimlich gefolgt sind?“, fragte sie und kehrte ihm den Rücken zu.
„Ich bin Ihnen nicht gefolgt, sondern nach dem Einkaufen rein zufällig an der Kirche und dem Friedhof vorbeigekommen. Das müssen Sie mir glauben.“
Als sie sich zu ihm umdrehte, war er schockiert, wie blass sie war und wie angespannt sie wirkte. „Okay, ich glaube Ihnen“, entgegnete sie müde. „Aber das Ganze geht Sie nichts an, und ich möchte nicht darüber sprechen.“
„Reden Sie nie mit jemandem darüber?“
Sie zuckte die Schultern. „Manchmal mit Netta, doch nicht richtig.“
„Meinen Sie nicht, es wäre besser, Sie würden es tun?“ Seine Stimme klang ruhig und
verständnisvoll.
„Warum?“, fuhr Minnie ihn an. „Warum kann ich nicht etwas ganz für mich allein haben? Gianni gehört zu mir. Verstehen Sie das denn nicht?“
„Doch, aber er ist nicht mehr da“, erklärte er hart. „Er existiert nur noch in Ihrer Erinnerung.“ „Ist das nicht völlig egal? Er hat mich damals glücklich gemacht und macht es immer noch. Nicht vielen Menschen ist so ein Glück vergönnt, und ich will es nicht verlieren.“
„Sie müssen ihn loslassen. Sie können nichts festhalten, was es nicht mehr gibt. Statt sich die Wahrheit einzugestehen, weigern Sie sich, am Leben teilzunehmen.“
„Was könnte mir das Leben noch bieten? Es gibt nichts Besseres als das, was ich jetzt habe.“ „Das stimmt nicht.“
„Das kann nur jemand behaupten, der keine Ahnung hat, was es bedeutet, einem anderen Menschen sehr nahe zu stehen. Wenn man so etwas einmal erlebt hat, reicht es für das
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