3 Die Rinucci Brüder: Unter der goldenen Sonne Roms
war und sich angezogen hatte, doch er schaffte es. Und das war das Wichtigste. Im Lauf des Vormittags kam der Arzt vorbei und wechselte die Verbände.
Netta brachte ihm regelmäßig das Abendessen. Zu seiner Überraschung verabschiedete sie sich jedes Mal schon nach wenigen Minuten und verschwand. So viel Zurückhaltung passte eigentlich nicht zu ihr.
Minnie kam immer erst spätabends mit einem Aktenkoffer voller Unterlagen zurück. Während er vor dem Fernseher saß, arbeitete sie bis in die Nacht. Um sie nicht zu stören, hatte er ihr einmal angeboten, sie allein zu lassen und früh schlafen zu gehen. Aber sie versicherte ihm, sie könne sich gut konzentrieren und fühle sich nicht gestört.
Zu gern hätte er gewusst, warum Giannis Foto nicht mehr auf dem Regal stand. Doch er wagte nicht zu fragen.
Eines Abends hörte Minnie ihn im Schlafzimmer telefonieren, offenbar mit seiner Mutter, wie sie den Wortfetzen entnahm, die sie mitbekam.
Nachdem er das Gespräch beendet hatte, öffnete sie die angelehnte Tür einen Spaltbreit. „Möchtest du eine heiße Schokolade?“ Sie hatte vorgeschlagen, dass sie sich duzten, und er war natürlich einverstanden gewesen.
„Ja, gern.“ Er kam ins Wohnzimmer zurück und setzte sich auf das Sofa.
„Hast du deiner Mutter erzählt, was passiert ist?“, erkundigte sie sich und reichte ihm einen der beiden Becher, die sie in der Hand hielt.
„Noch nicht. Das hole ich nach, sobald ich wieder völlig gesund bin.“
„Erzähl mir etwas über deine Familie“, bat sie ihn. „Wie viele Geschwister hast du?“
„Fünf Brüder. Den ältesten Sohn meiner Adoptivmutter Hope, den sie als ledige Fünfzehnjährige bekommen hat, haben ihre Eltern ihr weggenommen und ausgesetzt. Sie haben behauptet, er sei tot zur Welt gekommen. Aber er ist von einem anderen Ehepaar adoptiert worden.“
„Wie können Eltern ihrem Kind so etwas antun?“ Minnie war schockiert.
„Das habe ich mich auch gefragt. Hope hat einige Jahre später Jack Cayman geheiratet. Er war Witwer und hat seinen Sohn Primo mit in die Ehe gebracht. Seine Mutter war Italienerin. Hope und Jack haben mich adoptiert. Soweit ich weiß, waren die beiden nicht glücklich miteinander. Sie haben sich scheiden lassen, nachdem Hope sich in Franco verliebt und mit ihm ihren Sohn Francesco bekommen hat.
Das Sorgerecht für mich wurde ihr zugesprochen, aber Primo musste bei seinem leiblichen Vater bleiben. Nach dessen Tod haben die Rinuccis, Primos Verwandte mütterlicherseits, ihn zu sich nach Italien geholt. Hope hat erfahren, wo er war, und ihn besucht. So hat sie Toni kennengelernt, und die beiden haben wenig später geheiratet.“
„Warum hat sie nach der Scheidung nicht mit Franco zusammengelebt?“
„Er war verheiratet und hatte zwei Kinder. Seine Frau wollte er nicht verlassen.“
„So, das sind vier Söhne. Es fehlen noch zwei.“
„Ja, Carlo und Ruggiero, Tonis und Hopes Zwillinge. Nach jahrelanger Suche ist es Primo voriges Jahr gelungen, Hopes ältesten Sohn Justin zu finden, und es gab eine große Feier, als er zum ersten Mal nach Neapel kam. Später hat er dann in Neapel geheiratet.“ Luke verstummte und schien verblüfft zu sein.
„Was hast du?“ Minnie sah ihn aufmerksam an.
„Das ist noch gar nicht lange her, erst sechs Wochen“, antwortete er ungläubig.
„Was ist daran so seltsam?“
„Ich bin kurz darauf nach Rom gefahren. Es kommt mir so vor, als wäre ich schon viel länger hier. Dabei sind es erst sechs Wochen.“ In der kurzen Zeit war viel geschehen, und er hatte das Gefühl, Minnie schon sehr lange zu kennen. „Erst sechs Wochen“, wiederholte er leise.
Ihr Blick verriet, dass sie wusste, was er meinte. Luke streckte die Hand aus und streichelte ihr sanft die Wange.
„Minnie …“ Es war kaum mehr als ein Flüstern.
„Luke … erzähl bitte weiter.“
„Okay. Wir sind eine bunt zusammengewürfelte Familie, finde ich. Einige Familienmitglieder sind eng miteinander verwandt, einige entfernt und andere gar nicht“, fuhr er fort.
„Macht es dir nichts aus, dass du nicht denselben Nachnamen hast wie der Rest der Familie?“ Er dachte kurz darüber nach. „Eigentlich nicht“, antwortete er dann.
„Primo heißt auch Cayman wie du, oder?“
„Nein, er hat schon vor vielen Jahren den Namen Rinucci angenommen. Das hätte ich auch tun können. Toni hat es mir angeboten. Für ihn bin ich ein Sohn wie die anderen, und er hat sich gewünscht, ich würde auch so heißen wie
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