3. Reich Lebensborn E.V.rtf
Großdeutschland reicht. Die Sache des Sturmbannführers ist so dumm, daß sie das Mädchen schon wieder belustigt ...
»Und so beten wir zur Vorsehung ...«, schnaubt der Heimleiter abschließend.
Lotte, die RAD-Jungführerin, die sonst mit großen, gläubigen Augen, leicht vorgebeugt, seine Worte in sich hineinfraß, folgt heute dem Unterricht taub und blicklos. Die Welt, die in diesem Heim erst für sie aufging, ist zusammengebrochen. In dem Augenblick, da sie lieben lernte, mußte sie Verzicht begreifen. Zu hoch waren ihre ausbrechenden Gefühle in den Himmel gestürmt, als daß Lotte jetzt den Sturz ertragen könnte.
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Immer wieder, fast hypnotisiert, streifen ihre Augen den Untersturmführer Lange, der heute weiter von ihr wegsitzt, weil er taktlos ist. Seit gestern, seit dem Gespräch im Garten, weiß Lotte, daß ihr mädchenhafter Traum einer gemeinsamen Zukunft vernichtet ist. Daß der Mann sie nicht liebte, sondern nur einen Befehl ausführte. Daß er nicht frei ist, sondern eine Frau hat. Vielleicht auch Kinder, die allerdings nicht auf Befehl gezeugt wurden ...
Die Scham brennt. Die Demütigung wühlt. Seit Stunden begreift das mißbrauchte Mädchen, welche Ungeheuerlichkeit diese Bewegung, an die es stur und begeistert geglaubt hatte, verlangt. Und dazu kommt die Sehnsucht nach dem Mann, der ihr niemals gehört hat und ihr nie gehören wird. Nie!
Einmal will ich ihn noch sprechen, denkt Lotte. Ich will nur wissen, ob es so sein kann. Ob ich gar nichts für ihn bin. Wenn lieh ihm nur einen Bruchteil so viel bedeuten würde, wie er mir, dann ...
Lotte steigert sich in die Hoffnung hinein, ohne es zu wissen. Sie erlebt das Mittagessen wie in Trance. Sie geht mechanisch auf ihr Zimmer, versucht auszuruhen, vergräbt den Kopf in den Kissen, steht wieder auf, verläßt mit steifen Beinen das Haus, geht ruhelos im Garten auf und ab, auf und ab. Auf einmal kommt der Untersturmführer auf sie zu. »Fritz
...«, sagt Lotte leise.
Er nickt, sieht an ihr vorbei, will etwas sagen. Aber seine Zunge ist wie gelähmt.
»Bist du ... schon lange ... verheiratet?« »Drei Jahre.«
»Und du ... magst deine Frau?« »Sicher«, entgegnet Fritz Lange trocken. »Kinder?« »Zwei.«
»Und wenn wir ...« »Was?«
»Ein Kind ...«, antwortet sie zögernd. »Aber das weißt du doch ... das war doch ...« »Abgemacht, nicht?« »Ja.«
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Er versteht ihre Verzweiflung nicht. Er sieht sie an. In ihrem Gesicht ist wieder die zweite Haut aufgezogen: gelb, runzelig und pergamenten. In diesem Moment begreift der Mann nicht, was ihn zu dem Mädchen hingezogen hatte, findet kein Wort, keine Geste, keine Brücke.
»Und wir?« nimmt Lotte einen letzten Umweg zu dem Verhängnis.
»Wir bleiben ja noch ... eine ganze Woche zusammen ...«
»So eine Blonde?« erwidert der Chauffeur dumm.
»Mensch, hier sind doch fast alle blond.«
»Ja, vor ein paar Minuten ... Richtung Stoppelfelder, auf den Wald zu ...«
Die beiden Männer laufen los. Erika reibt langsam die Handflächen gegen den Rock. Sie beißt die Zähne aufeinander. So ein Saustall, denkt sie. Sie sieht Lange nach. Hoffentlich bricht er sich die Beine! Lotte ... sie hat sie nie gemocht. Nicht besonders. Nie hätte sie geglaubt, daß sie um Lotte Angst haben könnte. Ihre Hände kleben am Stoff. Sie starrt auf den Wald.
Die beiden Männer keuchen nebeneinander her.
»Sie tut sich was an!« stöhnt Lange mit pfeifender Stimme.
»Du merkst alles ... was hast du ihr gesagt?«
»Die Wahrheit.«
»Idiot!«
»Es geht nicht um uns ... Hauptsache ist der Wunsch unseres Führers ...«
»Quatsch!«
Sie wechseln die Richtung. Der Herbstwald lichtet sich.
»Sie muß zur Südbrücke sein«, knurrt Kempe.
»Sie steht doch zur Bewegung ...«, salbadert Lange, »sie muß das doch verstehen!«
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»Du hast ’nen seelischen Rohrbruch«, fährt ihn der Hauptsturmführer an, »jetzt dreh bloß den Haupthahn zu!«
Der Wald endet. Vor ihnen breitet sich wieder brettebenes Land. Nur die Brücke wölbt sich über den Kanal.
»Da ist sie ja!« schreit Fritz Lange.
200 Meter vor ihnen taumelt das Mädchen auf dem Feldweg vorwärts.
Als sie das Mädchen sehen, rufen sie gleichzeitig. Lotte stockt, dreht sich um, sieht Lange und Kempe, hetzt weiter.
Die beiden Männer setzen ihr nach. Der Abstand verringert sich. Kurz vor dem Kanal beträgt er noch 20 Meter. Lotte taumelt die Brücke hinauf, greift nach der Verstrebung. Dann wendet sie sich um. Die Pistole in ihrer Hand
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