3. Reich Lebensborn E.V.rtf
seine Augen wandern weit weg, durch Doris hindurch und wieder zu ihr zurück. Er sieht sich wieder zwischen den Fronten, gehetzt von den Granaten, gepeitscht von einem einzigen Gedanken. Und er 213
begreift von neuem, warum dieser Gedanke so mächtig sein konnte.
»Weil es dich gibt«, sagt er ruhig, »ist nichts Schlimmes daraus geworden ... verstehst du?«
Doris nimmt sein Gesicht in ihre Hand.
»Gut, daß es so ...«
»Ja«, unterbricht sie Klaus. »So sehr hab' ich dich lieb ...«
»Uns ...«, erwidert Doris wie im Traum.
Klaus löst sich scheu.
»Kann ich ihn sehen?« fragt er.
Die junge Frau lacht, fast beschämt und doch sehr glücklich.
»Er ist schön ...«, sagt sie verlegen, »aber du findest ihn sicher ganz häßlich ... er ist noch so klein ... und hat so viele Falten ...«
Klaus legt ihr die Hand über den Mund.
»Er ist das schönste Kind im ganzen Heim«, sagt die fremde Stimme vom anderen Bett.
Klaus dreht sich erschrocken um.
»Ich bin Frau Kempe.«
Doris gibt Klaus ein Zeichen. Er begreift, betrachtet die große, blonde Frau. Die gleiche Unbefangenheit, dieselbe offene Sprache wie ihr Mann, wie Horst Kempe, sagt er sich verwundert.
»So, Herr Oberleutnant«, fährt Grete Kempe im künstlichen Kommandoton fort, »jetzt melden Sie sich bei Ihrem Sohn ... umgeschnallt und mit allen Orden, verstanden?«
Die beiden Frauen lachen. Klaus geht über den Korridor, sucht seinen Sohn.
Als ihm die Schwester hinter der Glasscheibe das Kind entgegenhält, sagt er beinahe verwundert:
»Du bist es also?«
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Er sagt es wie zu sich selbst. Er hat die gleiche Stirn, die gleichen Augen und die gleiche Nase wie Doris, denkt er. Dann ballt das Kind die winzige Faust und schreit. Die Schwester legt es in die Wiege zurück. Da spürt Klaus vom ersten Moment an, daß er für seinen Jungen jeden Kampf kämpfen, jede Schlacht schlagen, jeden Krieg gewinnen wird. Und er ahnt noch nicht, wie bald man ihm schon dazu Gelegenheit gibt ...
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14. KAPITEL
Die Nervosität des Stammpersonals schwimmt in der Kiellinie der Besichtigung. Dabei gibt sich
Obersturmbannführer Westroff-Meyer zunächst leutselig wie sein Führer in der Wochenschau. Er wuchtet durch das Haus, ein Herodes in zeitgemäßen Breeches. Er stürmt den Saal so stolz, als hätte er ihn erfunden. Er nimmt die Parade der Wiegen ab. Die Schwestern und der Chefarzt Dr. Jessrich folgen ihm in zwei Meter Abstand. Wenn Westroff-Meyer den Müttern begegnet, grüßt er sie stramm; sonst geht er ihnen lieber aus dem Weg.
So poltert der Kinderkommissar von Säugling zu Säugling und merkt zunächst gar nicht, wie sehr ihm die Natur beweist, daß sie noch nicht in die Partei eingetreten ist. Die Kleinen entwickelten sich zum großen Teil anders als die Erbsen und Kastanien auf der Wandtafel.
»Wie viele Kinder haben Sie im Moment?« fragt er Dr. Jessrich.
»67«, erwidert der Chefarzt.
Westroff-Meyer nickt zufrieden. Dann geht er langsam weiter, verharrt einen Augenblick vor einem Kind mit dunklem Haarflaum ... Der Führer ist auch nicht so ganz blond, denkt er, steht vor dem nächsten Säugling ... auch Rosenberg ist nicht so ganz nordisch. Er geht am übernächsten vorbei, stockt vor dem vierten Kind ... der Reichsführer selbst ist auch nicht so ganz ... schießt es ihm durch den Kopf ... und an sich selbst denkt der brave Mann zuletzt ...
Im Chefbüro wartet ein Imbiß. Der Obersturmbannführer nimmt ihn mit Abstand und Appetit.
»Sekt?« fragt Dr. Jessrich.
»Nicht um diese Tageszeit«, erwidert Westroff-Meyer. 216
»Ich muß Ihnen sagen, daß ich sehr mit dem Heim zufrieden bin ... ich werde Sie befördern.«
Dr. Jessrich schlägt die Hacken zusammen.
Der Obersturmbannführer setzt sich an den Schreibtisch.
»Bei Ihnen ist doch auch eine Frau Steinbach? ... Erinnern Sie sich an sie?«
»Jawohl, Obersturmbannführer«, erwidert der Chefarzt, »ein sehr schwerer Fall ... wie durch ein Wunder gutgegangen.«
»Ich habe meine besonderen Pläne mit ihr ... Sie wissen, daß
Sie alle Befehle auszuführen haben, ohne sich um ihren Inhalt zu kümmern?«
Das tue ich schon die ganze Zeit, denkt Dr. Jessrich. Aber er erwidert stramm:
»Jawohl, Obersturmbannführer!«
Der SS-Obersturmbannführer Westroff-Meyer macht sich mächtig. Die Abrechnung, denkt er, und kostet das wollüstige Gefühl im Stiernacken. Er hat lange gewartet, aber nicht vergessen. Und sein Haß lebte unter der Siegesrune am Kragenspiegel. Weil zwei junge Menschen es
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