3. Reich Lebensborn E.V.rtf
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Erika schüttelte sich. Ruth flirtete mit einem SS-Offizier. Sie hatte die Gunst ihrer Chefs so nötig wie die in Polen geraubten Kinder die Elternliebe.
Erika kam zuerst in das Büro zurück, sortierte Formblätter, las Namen. Unten lag wieder eine Anweisung. Sie registrierte die Meldung:
›Klaus Steinbach ... Mutter: Doris Steinbach, geborene Korff
... Kind ist in ein Heim einzuweisen ...‹
Erika fühlte die Ungeheuerlichkeit auf sich zukommen. Sie begriff den Inhalt. Das Schreiben zitterte in ihrer Hand. Ruth kam zurück und fauchte sie an:
»Wie kommt das auf deinen Schreibtisch? ... Das ist eine Geheimsache!«
»Geheimsache?« wiederholte Erika abwesend.
Sie hatte sich schon vorgenommen, zu kündigen. Und sie wußte, daß sie jetzt bleiben mußte. Wegen Doris ... Inzwischen träumt sich Doris ihrer Entlassung aus dem Heim entgegen. Sie erholt sich rasch und gedeiht mit dem winzigen Klaus. Sie ist fraulicher und noch schöner geworden. Ihr Lächeln ist zärtlich, und ihre Zärtlichkeit lächelt. Sie liegt weich in den Kissen, gelockert, gelöst, glücklich. Dreimal täglich brachte man ihr das Kind, und sie sprach mit ihm, als ob es bereits erwachsen wäre. Und dann, jeweils am Nachmittag, kamen Klaus und Kempe, immer gemeinsam, und sie erlebten eine ruhige, gemächliche Plauderstunde zu viert, trafen Verabredungen, von denen sie von vornherein wußten, daß sie niemals eingehalten würden.
Als erster mußte Kempe zurück. Er verabschiedete sich von seiner Frau mit dem sturen Fatalismus des Frontsoldaten. Ein ganzes Volk lernte ja in diesen Jahren das Abschiednehmen von der Pike auf. Für immer oder bis zum nächstenmal. Horst Kempe schüttelte seiner Frau kräftig die Hand und sagte: 223
»Mach’s gut, Grete.«
Und dann ging er so gelassen und selbstverständlich aus dem Zimmer, als ob er zu einer Hamsterpartie über Land fahren würde.
Klaus fiel es schwerer. Doris wußte es. Er sah zum Fenster hinaus, als er sagte:
»Ich bekomme bald Genesungsurlaub ... und dann richten wir unsere Wohnung ein.«
»Ja«, erwiderte Doris, »ich bin froh, daß du nicht an die Front brauchst ...«
Klaus war nach Süddeutschland in ein Speziallazarett verlegt worden.
Dann ging er zu seinem Sohn. Und er wunderte sich, wie selbstverständlich ihm auf einmal das Kind war. Er hatte sich in der Vaterrolle immer ein wenig hilflos gesehen. Aber das Kind mit den großen Kugelaugen machte es ihm leicht. Klaus Steinbach ging, ohne sich umzusehen.
Und jetzt wartet Doris auf die Heimfahrt. Ein anderer Arzt behandelt sie. Dr. Jessrich ist noch im Haus, aber er praktiziert nicht mehr. Gerüchte wissen, daß er an die Front strafversetzt wird.
Doris und Grete Kempe plaudern noch, als das Licht ausgeht. Dann hören sie Schritte vor der Türe. Es ist Dr. Jessrich. Er geht durch das Heim, dessen Chefarzt er war, wie auf Zehenspitzen. Er hat einen harten Gang vor sich, den ihm der Anstand vorschreibt.
Endlos erscheint ihm der Weg über den dämmrig beleuchteten Korridor, über die Wollteppiche, die seinen Schrift halb verschlucken. Es ist so wenig, was er tun kann. Aber das einzige. Er muß es einfach, ohne an die Folgen zu denken.
Er steht vor der Tür, klopft beinahe zaghaft, sieht sich noch 224
einmal suchend um. Sein Herz schlägt am Hals. Bald, an der Front, wird er es weniger spüren. Aber was er jetzt vor sich hat, ist schlimmer als jede HKL.
Er tritt ein, knipst das Licht an. Sein Blick gleitet über die beiden Betten. Frau Kempe räkelt sich auf, betrachtet den Arzt.
»Was ist denn los, Herr Doktor?«
»Entschuldigen Sie, daß ich störe ...«
Doris betrachtet ihn wortlos, erschrocken.
»Hören Sie, Frau Kempe«, beginnt der Arzt, »was ich jetzt sage ... ist nur für Frau Steinbach bestimmt ... es bringt mich um Kopf und Kragen, wenn ...«
»Ich schlafe schon«, antwortet die große, blonde Frau knapp.
»Etwas ... mit dem Kind?« fragt Doris bange.
»Ja«, antwortet Dr. Jessrich, »nicht so«, wehrt er sofort ab,
»es ist gesund, entwickelt sich prächtig.«
Er setzt sich auf das Bett von Doris. Sie will sich aufrichten, aber er schiebt sie mit der Hand sanft in das Kissen zurück. Sein Lächeln gefriert.
»Bitte ... seien Sie ganz ruhig, bitte!«
Ihr Blick pendelt über sein Gesicht.
»Ist etwas ... mit meinem Mann?«
»Nein«, erwidert der Arzt knapp. Drängend setzt er hinzu:
»Bitte, Frau Steinbach ... haben Sie Vertrauen zu mir.«
Doris nickt. Ihre Augen werden groß und dunkel.
»Ich bin
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