3 - Wächter des Zwielichts
beschlossen hätte, aus der Wache in die Inquisition überzuwechseln ... Was wäre dann gewesen?«
»Du bist nicht übergewechselt«, erwiderte Geser. »Obwohl Viteszlav sehr um dich geworben hat. Was noch, Anton? Ich spüre, dass dir noch eine Frage auf der Zunge liegt.«
»Wie kommt es, dass Ihr Sohn ein Anderer ist?«, fragte ich. »Das ist doch ein Glücksspiel. Nur selten bekommen Andere auch ein Kind mit den Anlagen zum Anderen.«
»Anton, entweder gehst du jetzt zu Viteszlav und legst ihm deine Überlegungen dar«, meinte Geser leise, »oder du machst dich auf zu Swetlana, wie du es ohnehin vorhattest. Aber verschon mich mit diesem Verhör.«
»Haben Sie keine Angst, dass die Inquisition noch einmal über alles nachdenkt und Ihnen auf die Schliche kommt?«, fragte ich.
»Nein. In drei Stunden wird Viteszlav ein Dokument unterschreiben, mit dem diese Untersuchung zu den Akten gelegt wird. Sie werden sich den Fall nicht wieder vornehmen. Sie haben sich sowieso schon bis auf die Knochen blamiert.«
»Viel Glück bei der Remoralisierung von Timur«, wünschte ich ihm. Dann ging ich zur Tür.
»Du hast noch eine Woche Urlaub, verbring ihn mit deiner Familie!«, rief Geser mir hinterher.
Erst wollte ich ihm stolz antworten, dass ich auf seine Almosen verzichten könnte. Gerade noch rechtzeitig besann ich mich jedoch. Welcher Teufel ritt mich jetzt bloß?
»Zwei Wochen«, entgegnete ich. »Allein schon Überstunden habe ich genug, um mir einen ganzen Monat freizunehmen.« Geser hüllte sich in Schweigen.
Epilog
Ich beschloss, den BMW erst nach dem Urlaub zurückzugeben. Schließlich...
Auf der neu angelegten Schnellstraße - früher gab es hier nur Schlaglöcher, verbunden durch einzelne Abschnitte einer Chaussee, jetzt handelte es sich um eine Chaussee, deren einzelne Abschnitte mitunter durch ein Schlagloch unterbrochen wurden - fuhr der Wagen ruhig mit 120 Stundenkilometern dahin. Nicht schlecht, ein Anderer zu sein.
Ich wusste, dass ich in keinen Stau geraten würde. Ich wusste, dass mir kein Kipplaster mit besoffenem Fahrer entgegenkommen würde. Wenn das Benzin ausging, konnte ich Wasser in den Tank füllen und es in Brennstoff verwandeln.
Wer würde seinem Kind nicht ein solches Schicksal wünschen? Hatte ich wirklich das Recht, Geser und Olga zu verurteilen?
Die Stereoanlage des Autos war neu und verfügte über ein MD-Laufwerk. Erst wollte ich die Kampfprothesen einlegen, dann merkte ich aber, dass mir der Sinn nach etwas Lyrischerem stand. Deshalb legte ich Belaja gwardija ein. Ich weiß nicht, hast du eine Frau, Und weiß nicht, wie's dir geht;
Ein Engel hat mit Fäden blau Den Himmel zugenäht. Vergessen der Verlust, ich geb Dem Bösen seine Ruh, Doch immer, wenn ich ausgeh, streb Ich deiner Wärme zu. Mein Handy klingelte. Sofort drosselte die kluge Anlage den Ton. »Sweta?«, fragte ich. »Ich konnte dich nicht erreichen, Anton.« Swetlanas Stimme klang ruhig, also war alles in Ordnung. Nur das zählte. »Ich konnte dich auch nicht erreichen«, meinte ich.
»Das muss an atmosphärischen Fluktuationen liegen«, amüsierte sich Swetlana. »Was ist vor einer halben Stunde passiert?« »Nichts Besonderes. Ich habe mit Geser gesprochen.« »Ist alles in Ordnung?« »Ja.«
»Ich hatte eine Vorahnung. Dass du dich an einer Grenze bewegst.«
Ich nickte und sah auf die Straße. Klug ist sie, meine Frau, Geser. Auf ihre Vorahnungen kann ich mich verlassen. »Ist jetzt alles in Ordnung?«, hakte ich nach. »Jetzt ja.«
»Sweta ...«, fragte ich, während ich das Steuer nur mit einer Hand hielt. »Was würdest du tun, wenn du nicht sicher wärst, ob du dich richtig verhalten hast? Wenn dich die Frage quält, ob du Recht hast oder nicht?«
»Zu den Dunklen gehen«, antwortete Swetlana wie aus der Pistole geschossen. »Die quälen sich nie.« »Ist das alles, was du mir dazu sagen kannst?«
»Ja, das ist die einzige Antwort, die ich dir geben kann. Das ist der einzige Unterschied zwischen den Lichten und den Dunklen. Man kann ihn Gewissen nennen, man kann ihn moralischen Instinkt nennen. Der Kern ist der gleiche.«
»Ich habe den Eindruck«, gestand ich bedrückt, »als gehe die Zeit der Ordnung zu Ende. Verstehst du, was ich meine? Als begänne ... ich weiß nicht, was. Keine dunkle Zeit, keine lichte ... und auch nicht die Stunde der Inquisitoren...«
»Das ist die Niemandszeit, Anton«, sagte Swetlana. »Das ist lediglich die Niemandszeit. Du hast Recht, das etwas auf uns zukommt. Dass
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