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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ihm vorüber, ohne die Fatcha, die erste und einleitende Sure des heiligen Koran zu beten! Und wer einen Wunsch, eine Bitte an den Kutb hatte, der blieb stehen, um sie in lauten, flehenden Worten auszusprechen. So erfuhr der Bettler manches Geheimnis, welches er in seiner verschwiegenen Brust verschlossen hielt.
    Also dieser hochwichtige Mann war der Dorn in unserer Rose! Er kam alle Abende so sicher wie der Abend selber, rauchte seinen fürchterlichen Tabak oder kaute seinen ebenso genußreichen Knoblauch und sprach dabei von allen möglichen Dingen, aber nur nicht von dem Kutb, über den ich doch so gern etwas Näheres erfahren hätte. Das war sein Amts- oder vielmehr Geschäftsgeheimnis. Er duftete nach allen möglichen Gerüchen, die einem Bettler anhaften können, und paßte nicht in unsere reinliche Behausung, wurde aber trotzdem von meinem Wirt geduldet, weil er der Nachbar desselben und ihn durch seine Besuche gewohnt geworden war. Auch ich war ihm nicht unbekannt, denn ich hatte ihm früher, so oft ich durch das Bab Zuweileh und an ihm vorüber gegangen war, stets ein Geschenk gegeben, und da meine Kleidung diejenige eines Europäers gewesen war, hatte er sich über diese Gaben gewundert und sich mein Gesicht gemerkt. Als er mich dann zum erstenmal in meiner jetzigen Wohnung traf, war er zugleich verwundert und erfreut darüber und fragte mich, warum ein solcher Effendi gezwungen sei, bei einem ‚Mann der Pfeifenreinigung‘ zu wohnen. Ich hatte keinen Grund, ihm die Auskunft zu verweigern, und er nahm solchen Anteil an mir, daß er mir versprach, den Kutb zu befragen, wohin der verschwundene Ben Musa Effendi mit meinem Koffer gekommen sei. Leider aber verging ein Tag nach dem andern, ohne daß der sonst so allwissende Geist sich herbeiließ, die erbetene Antwort zu erteilen. Ich hielt das für eine unverantwortliche Rücksichtslosigkeit, zwar nicht gegen mich, aber doch gegen den Bettler, der sein Diener und Vertrauter war.
    So vergingen zwei Wochen, ohne daß ich eine Spur von Ben Musa Effendi entdeckte; das Schicksal entschädigte mich dafür dadurch, daß mir esch Schahad seine ganz besondere Zuneigung schenkte; ich bemerkte, daß er mich von Tag zu Tag lieber und lieber gewann, und es kam mir zuweilen so vor, als ob er etwas auf dem Herzen habe, was er mir gern anvertrauen wolle, was sich aber weigere, ihm über die Lippen zu gehen. Aus den verschiedenen Fragen, mit denen er um diesen Gegenstand ‚herumging‘, schloß ich, daß es etwas Ärztliches sein müsse; es wurde ihm aber außerordentlich schwer, es auszusprechen. Wäre er verheiratet gewesen, so hätte ich geschlossen, daß es sich um seinen Harem handle.
    Da, eines Abends, zwang er sich endlich zu dieser Mitteilung; nur sprach er sie nicht unvermittelt aus, sondern er steuerte auf einem Umweg auf sie los, indem er sich erkundigte:
    „Hast du heute wieder nichts von diesem Ben Musa Effendi erfahren?“
    „Nein“, antwortete ich.
    „Er ist vielleicht doch ein Dieb!“
    „Gewiß nicht; er ist ein ehrlicher Mann.“
    „Da hätte er deinen Koffer stehen lassen müssen!“
    „Das wäre unvorsichtig gewesen; er durfte ihn andern Leuten nicht anvertrauen.“
    „So mußte er bei seinem Fortgang sagen, wohin er gehen wollte!“
    „Er hatte wahrscheinlich alle Gründe, gerade dies zu verschweigen. Hat dir der Kutb, der mächtige Geist des Bab Zuweileh, auch noch keine Auskunft darüber erteilt?“
    „Nein.“
    „Das wundert mich eigentlich, denn du bist sein Liebling, und er ist allwissend.“
    „Ja, Effendi, er weiß alles und kann alles; aber es ist sehr leicht zu erklären, warum er schweigt.“
    „Nun, warum?“
    „Er ist nur für die wahren Gläubigen da; du aber bist ein Christ.“
    „Das ist gar nicht lieb von ihm. Wenn wir Christen an solche Geister glaubten, würden diese mit ihren Wohltaten gewiß keinen Unterschied zwischen uns und euch machen.“
    „Wie, ihr glaubt nicht an solche Wesen?“
    „Nein.“
    „Ihr habt also auch keinen Kutb?“
    „Nein.“
    „Das ist sonderbar, die Christen sind doch sonst so kluge Leute; besonders du, Effendi, bist gelehrt in allen Dingen, du warst in allen Ländern und bei allen Völkern; du kennst alle Steine, alle Pflanzen, alle Wege und Flüsse, alle Berge und alle Täler und alle – – – o Effendi“, unterbrach er sich, „sag mir, ob du wohl auch alle Krankheiten kennst!“
    „Ja“, antwortete ich, denn die Namen der Krankheiten waren mir allerdings bekannt.
    „Und auch die

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