30 - Auf fremden Pfaden
zweimal bei Allah geschworen, die Eltern dieses Kindes glücklich zu machen, wenn es dir möglich sei. Bedenke das!“
Der Knabe schlang ihm sofort das Ärmchen um den Hals und drückte ihm das Köpfchen in den Bart. Omar, der eben noch so entschlossene Omar, drehte sich um und verschwand mit dem Kind im Dunkel der Nacht. Nun trat eine erwartungsvolle Stille ein, welche der Scheik dazu benutzte, sein Weib zu fragen, wie sie wieder zu dem verlorenen Kind gekommen sei. Sie deutete stumm auf mich, und ich erzählte es ihm.
„Er hat es gefunden, er, der Bluträcher, dessen Verwandten wir ermordet haben!“ sagte er. „O Allah, wie strafst du diese Tat!“
Da kam Omar wieder; er hatte den letzten Ausruf gehört und auf seinem Gesicht lag ein ungewöhnlich weicher Zug. Er legte ihm den Knaben in die Arme und sagte:
„Ich will nicht deinen Tod; ich nehme den Blutpreis – – – um dieses Kindes willen, welches mir meine Seele geraubt hat“, fügte er fast weinend hinzu. „Die Krieger der Haddedihn werden mich wohl deshalb nicht für unwürdig halten.“
Ich reichte ihm die Hand und beruhigte ihn:
„Nie bist du edler und tapferer gewesen als in diesem Augenblick, wo du dich selbst bezwungen hast. Laß es sie wissen, daß ich, Kara Ben Nemsi Emir, dies ausdrücklich gesagt habe! Wie hoch soll der Blutpreis sein?“
„So viel, wie Abd el Mottaleb bezahlten mußte, der Großvater des Propheten, hundert Kamele.“
„Das ist mein ganzes Vermögen!“ rief der Scheik. „Es bleibt mir dann nichts, gar nichts übrig; aber du sollst alles haben, alles, wenn ich nur meinen Sohn und mein Weib wieder bekomme und für sie leben darf. Der eigentliche Mörder bin ich nicht; den hast du getötet, als wir euch auf dem Weg nach dem Wadi Bascham des Nachts überfallen wollten.“
„So sind wir einig, und die Gefangenen sind frei“, erklärte ich.
Ihre Fesseln wurden gelöst. Abd el Birr konnte nicht hier bleiben; der Schech el Beled erklärte, ihn und sein Weib und Kind bei sich aufnehmen zu wollen, und lud auch mich mit ein. Er und alle unseren bisherigen Feinde gelobten freiwillig mit den heiligsten Eiden, daß sie allen Hintergedanken fern seien, uns als Freunde und Brüder betrachten und gegen alle Feinde verteidigen würden. Wir durften ihnen glauben und gingen mit, um die Gäste des ganzen Ortes Rakmatan zu sein.
Im Hause des Schechs angekommen, verband ich das Bein des Handhala, so gut es möglich war; der Bruch war kein komplizierter. Der Kranke fühlte sich am andern Tage so wohl, daß er den Kadi kommen ließ, um sich sein Weib wieder antrauen zu lassen. Wäre ich nicht Christ gewesen, so hätte ich dabei als Zeuge dienen müssen; diese Ehre wurde Omar zuteil. Der brave Mann war so gerührt, daß er nach vorübergegangener Handlung zu den aufs neue Vermählten sagte:
„Ich bringe eine Gabe, welche ihr nicht zurückweisen dürft: ihr habt mich zum Zeugen eures neuen Glückes gemacht, welches die Armut töten würde. Ich verzichte auf den Blutpreis und schenke ihn eurem Sohn. Allah segne ihn und dieses mein Geschenk!“
Der Scheik brachte kein Wort hervor; auch Zarka konnte nicht sprechen; ihre blauen Augen aber standen voller Tränen, denn die Farbe seiner Augen hatte ihr Söhnchen von ihr geerbt; sie hieß Zarka ihrer Augen wegen.
Was wollte der Scheik der Muntefik nach dem Beispiel von Güte machen, welches ihm Omar gegeben hatte? Er mußte auch verzeihen und alle Rachegedanken fallen lassen. Wie eigentlich christlich fühlte und handelte man hier und jetzt in diesem an der Pilgerstraße gelegenen Haus, wo der mohammedanische Fanatismus bisher jährlich blutige Orgien gefeiert hatte! Wir blieben fast drei Wochen lang als Gäste in der Rakmatan, und niemand wagte es, ein Wort der Beleidigung zu mir zu sagen. Die wahre Liebe besiegt den größten, unüberwindlich scheinenden Haß. Meine Gewehre wurden mir natürlich zurückgestellt, und ebenso bekamen die Haddedihn die Summe ersetzt, welche dem toten Mesud in Kubbet el Islam abgenommen worden war. – – –
Der Kutb
1. In Kairo
Zufall oder Schickung? Lieber Leser, was von diesen beiden ist wohl richtig? Hoffentlich gehörst du nicht zu denjenigen, welche an den ersteren glauben, sondern zu denen, welche wissen, daß, wie die heilige Schrift sagt, kein Haar ohne ‚Seinen‘ Willen von unserem Haupt fällt.
Wie oft habe ich während meiner vielen Reisen an mir selbst erfahren, daß eine allweise Hand meinen Weg ganz anders lenkte, als es mein
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