30 - Auf fremden Pfaden
Kerl, und der war ich! Meinen Effendi für dumm zu halten! Sihdi, erhebe deine Hand und gib mir einen Keff (starke Ohrfeige), daß ich aus dem Sattel fliege, ich werde dir sehr dankbar dafür sein!“
„Fällt mir gar nicht ein, meinen braven Halef zu schlagen. Was den alten Scheik betrifft, so führt er eine wirkliche Verräterei im Schilde. Ich zählte die Leute, als sie kamen, und dann wieder, als sie drüben vorüberritten. Es fehlte einer. Der ist in das Lager zurückgeschickt worden, um zu melden, daß wir am linken Ufer abwärts kommen. Die Kurden werden also dort übersetzen und auf uns warten, um uns meuchlings zu überfallen.“
„Der Schurke! Warum aber hast du mit dem Armeni kein Wort gesprochen?“
„Ein christlicher Schurke steht so tief unter einem mohammedanischen Schuft, daß ich ihm nur dann ein Wort schenken mag, wenn ich absolut dazu gezwungen bin. Jetzt weiß ich, wie es ihm möglich geworden ist, seine Verbrechen auszuführen. Er ist der Anführer einer Armenierbande und hat sich mit den berüchtigten Schirwan-Kurden verbunden. Er hat mir für das nächste Wiedersehen den Tod angedroht und dabei nicht geahnt, daß dieses Wiedersehen in ganz anderer Weise stattfinden wird, als er denkt. Aber nun komm; wir müssen weiter, um unser Wort zu halten!“
2.
Wir ritten genau anderthalb Meilen im rechten Winkel vom Fluß ab nach Süden und kehrten dann um. Die Gegend dort ist gebirgig und sehr schatten- und wasserreich. Darum wird sie im Hochsommer von den Kurden, die im Winter die Ebene bewohnen, aufgesucht, während die wandernden Araberstämme, wenn um dieselbe Zeit die Steppe ausgedorrt ist, in die Nähe des Tigris ziehen. Infolgedessen ist es in der heißen Jahreszeit nicht ungefährlich, am Fluß zu reisen, denn so gastfrei und aufopfernd der Kurde seinen Freunden gegenüber ist, den Fremden hält er für gute Beute; das weiß er nicht anders, das ist in jenen Gegenden seit Menschengedenken so und nicht anders gewesen. Auch wir mußten aufmerksam und vorsichtig sein. Ich hatte einigen Kurdenstämmen gegen andere gute Dienste geleistet; die ersteren waren meine Freunde, die letzteren dafür meine Todfeinde, und wenn wir einem von diesen in die Hände gerieten, so war es unbedingt um uns geschehen. Zu ihnen gehörte auch der Stamm der Schirwani, dem wir vorhin so glücklich entgangen waren.
Die Sonne wollte hinter den westlichen Bergen verschwinden; wir hatten den Rückweg beinahe vollendet und konnten uns nicht mehr weit vom Zab befinden. Wir ritten durch ein kurzes Tal, dessen Wände sehr steil zum Himmel stiegen, und sahen zwischen umhergestreuten Felsbrocken einen Hirten sitzen, welcher einige armselige Ziegen beaufsichtigte. Der Mann mußte sehr arm sein, denn seine hemdähnliche Kleidung war vielfach zerrissen und vermochte nur halb seine Blöße zu bedecken. Auf seinem wirrhaarigen Kopf saß eine jener kurdischen Ledermützen, welche häßlichen, vielbeinigen Spinnen gleichen, indem zahlreiche Riemen an allen Seiten herunterhängen.
„Aaleïkum eselahm u rahmet Chodeh – der Friede und die Barmherzigkeit Gottes sei mit euch!“ rief er uns zu, indem er seine dürre Hand bettelnd nach uns ausstreckte. „Schenkt mir eine Gabe! Katera Chodeh – um Gottes willen!“
Wir ritten zu ihm hin; ich griff in die Tasche und gab ihm einige Piaster.
„Chodeh da-uleta teh mehzin bikeh, ßoyuhle teh rahst bine – Gott vermehre deinen Reichtum und stehe dir bei in deinen Geschäften!“ bedankte er sich demütig.
„Du bist ein Kurde?“ fragte ich.
„Ja, Chodih.“
„Von welchem Stamm?“
„Ich gehöre zu keinem; ich bin alt und ausgestoßen.“
Das erbarmte mich. Ich erkundigte mich weiter:
„Wovon lebst du?“
„Von Wurzeln und von der Milch, welche mir diese drei kleinen Ziegen geben. Mein Weib liegt krank.“
„Wo?“
„Drinnen.“
Er deutete hinter sich, wo ich ein Loch im Felsen sah.
„Gott, welche Wohnung! Darf ich sie sehen? Vielleicht weiß ich ein Mittel, ihr zu helfen.“
„Geh hinein, Chodih, und Allah mag ihr beistehen!“
Ich stieg vom Pferd, gab Halef, der auch aus dem Sattel sprang, mein Pferd und meine Gewehre und ging nach dem Loch. Es war mannshoch, aber sehr schmal. Als ich einige Ellen weit eingedrungen war, fühlte ich links und rechts Seitenlöcher. Wo war die Frau? Es herrschte völliges Dunkel hier. Ich rief und hörte eine Stimme gerade vor mir antworten. Nach einigen Schritten wurde es hell vor mir; ich sah ein kleines Licht vor mir
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