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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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die Rettung der armen Gefangenen.“
    „Wieso?“
    „Wieso? Das fragst du noch? Allah scheint dir ganz plötzlich den Verstand verfinstert zu haben!“
    „Nicht den meinigen, sondern den deinigen.“
    „O, der meinige ist noch ebenso hell und scharf wie vorher!“
    „Davon merke ich nichts. Halef; glaubst du denn wirklich, daß ich mich von diesem alten Scheik der Schirwani überlisten lasse?“
    „Ich bin ja gezwungen, es zu glauben, denn er hat dich überlistet.“
    „Inwiefern?“
    „Wir mußten über das Wasser; gut; dadurch sind wir dem Kampf entgangen. Aber wir müssen anderthalb Kuladsch weiter; das heißt doch, daß sich inzwischen da drüben das Lager mit den Gefangenen befindet, die wir retten wollen. Nicht?“
    „Ja.“
    „Nach anderthalb Kuladsch dürfen wir wieder hinüber, aber nicht zurück; wir werden dann weit, weit über das Lager hinaus sein, und da es uns verboten ist, umzukehren, so gibt es für uns keine Möglichkeit, auch nur eine einzige von diesen bedauernswerten Töchtern des Unglücks aus der Gefangenschaft zu erlösen. Allah sei es geklagt!“
    „Ja, es sei Allah geklagt, daß du, der du mich doch genau kennen solltest, nicht mehr Vertrauen zu mir hast. Ich will ja versuchen, sie zu befreien!“
    „Nach unserer Ankunft am jenseitigen Ufer?“
    „Ja.“
    „Wir dürfen doch nicht zurück!“
    „Das haben wir freilich versprochen.“
    „Willst du dein Wort nicht halten?“
    „Ich halte jedes Versprechen!“
    „So begreife ich dich nicht!“
    „Leider! Wir werden ja gar nicht weit von hier an das rechte Ufer zurückkehren!“
    „Aber wir müssen doch einen und einen halben Kuladsch abwärts reiten!“
    „Wer hat das gesagt?“
    „Der Scheik! Und du bist darauf eingegangen!“
    „Ist mir gar nicht eingefallen. Zu einem solchen Verlangen hätte ich nie und nimmer ja gesagt, denn da hätte ich allerdings vollständig darauf verzichtet, für die Gefangenen auch nur das Geringste zu versuchen.“
    „Sihdi, darf ich dir etwas sagen?“
    „Nun?“
    „Es ist etwas, was du nicht glauben wirst.“
    „Was?“
    „Mir steht der Verstand still!“
    „Du siehst in diesem Augenblick allerdings ganz so aus, wie ein Mensch, dem der Verstand durch das Tor des Mundes davongefahren ist. Dein Mund steht so weit offen, daß ich beinahe mit dem Pferd hineinreiten kann!“
    „Ist das ein Wunder? Du leugnest etwas, was ich ganz genau mit meinen eigenen Ohren gehört habe.“
    „Du hast es ganz und gar nicht genau gehört. Es ist keine Rede davon gewesen, daß wir soweit am Ufer abwärts reiten sollen. Der genaue Wortlaut der Bedingung ist, höre darauf: hier über den Fluß reiten und dann anderthalb Kuladsch weiter. Wenn du mich nun noch nicht begreifst, so ist ganz plötzlich ein ganz anderer Mensch aus dir geworden, als du bisher gewesen bist. Denke nach, Halef!“
    Er verstand mich noch immer nicht und wiederholte langsam, indem er die einzelnen Worte auseinanderhielt:
    „Hier – über – den Fluß reiten – und – dann – andert – halb – Kuladsch – weiter – – –“ Dann aber ging ein helles Lächeln des Verständnisses über sein Gesicht, und er rief aus: „Sihdi, ich hab's, ich hab's! O, daß ich an dir zweifeln konnte! Wie hast du den Alten überlistet! Wir brauchen uns nicht nach ihm zu richten und werden trotzdem unser Wort ganz genau halten. ‚Wir reiten über den Fluß und dann einen und einen halben Kuladsch weiter‘, so lautet unser Versprechen. Der Scheik hat freilich flußabwärts gemeint, wir aber werden es mit unserm Gewissen vereinbaren können, daß –“
    „Vereinbaren?“ unterbrach ich ihn. „Es gibt da gar nichts zu vereinbaren. Mein Gewissen gebietet mir, genau nach dem Wortlaut zu gehen, und der ist: über den Fluß und weiter. Wir dürfen also gar nicht abwärts reiten, selbst wenn wir wollten, sondern wir sind gezwungen, die Linie über den Fluß in gerader Richtung fortzusetzen. Wir reiten also anderthalb Kuladsch vom Fluß fort nach Süden und haben dann unser Versprechen Wort für Wort erfüllt. Von dem Punkt an, wo wir uns dann befinden, dürfen wir wieder an das andere Ufer. Dieser Punkt liegt anderthalb Kuladsch vom Fluß entfernt, allerdings keine kurze Strecke, und wenn wir sie zurückgelegt haben, befinden wir uns wieder hier an derselben Stelle, wo wir jetzt sind. Nun, ist denn dein Kara Ben Nemsi ein so dummer Kerl, wie du vorhin sagtest?“
    „O, Sihdi, es gab freilich einen dummen Kerl, einen kamelsatteldummen

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