30 - Auf fremden Pfaden
wiedersehe.“
Dem Geräusch und den Stimmen nach, die wir rund um uns hörten, schien das Lager kein bedeutendes zu sein. Wir hörten auch das Prasseln eines Feuers, und dann rochen wir den Duft bratenden Fleisches. Um uns schien sich kein Mensch zu kümmern. Wir konnten noch einige Zeit zuhören, wie der Armeni seine Fläschchen anbot. Er schien keine schlechten Geschäfte zu machen; dann war seine Stimme nicht mehr zu vernehmen; wahrscheinlich hatte er sich nach einem entlegeneren Teil des Lagers entfernt.
Da endlich kamen einige Personen zu uns, und wir hörten das Zischen eines brennenden Kienspanes.
„Ist jemand da?“ fragte ich.
„Ja“, lautete die Antwort.
„Wer?“
„Der Nezanum (Dorfälteste), der euch gefangen hat.“
„Warum hast du uns gefangen?“
„Frag nicht so, Hund! Du weißt ganz genau, warum. Ihr werdet auf alle Fälle sterben müssen; aber wenn Schefaka (‚Morgenröte‘, hier ein weiblicher Name) nur das kleinste Härlein gekrümmt worden ist, so kann es in der tiefsten Hölle keine solchen Qualen geben, wie die sind, welche ihr erleiden werdet.“
„Schefaka?“ fragte ich erstaunt. „Sprichst du von einem Weib?“
„Natürlich! Von der Frau, die ihr geraubt habt, ihr Hunde!“
„Ich kenne viele Stämme der Kurden, aber nur einen einzigen, zu welchem ein Weib gehört, welches Schefaka heißt. Seid ihr Zibari-Kurden?“
„Frage noch einmal, so zerschlage ich dir deinen Schädel!“
„Schweig mit deinen Beleidigungen!“ fuhr ich ihn trotz meiner Lage an. „Du weißt nicht, mit wem du sprichst. Wenn du mir nur einige Fragen ruhig beantwortest, so wirst du Schefaka vielleicht dadurch retten. Also sag, seid ihr Zibari-Kurden?“
„Ja“, antwortete er mit mühsam unterdrücktem Grimm.
„Heißt der Mann dieser Schefaka vielleicht Hamsa Mertal?“
„Natürlich heißt er so; das weißt du ebensogut wie ich; das höre ich ja.“
„Und der Vater dieses Mannes ist der alte tapfere Scheri Schir, der oberste Scheik der Zibari?“
„Ja.“
„So höre, was ich dir jetzt sage, und handle ganz genau nach meinen Worten! Es ist ein Händler bei dir, welcher ed Damm el mukaddas verkauft?“
„Ja.“
„Und Schefaka ist geraubt worden?“
„Ja.“
„Er ist der Räuber: nicht wir sind es. Er ist heute gekommen, um euere junge Mädchen kennen zu lernen und euch die schönsten von ihnen zu entführen.“
„Hund, denkst du wirklich, daß –“
„Schweig“, unterbrach ich ihn. „Laß ihn ja nichts von dem hören, was wir jetzt sprechen! Weiß er, daß ihr uns gefangen habt?“
„Nein.“
„Ist dir der Name Hadschi Halef Omar bekannt?“
„Das war ein kleiner, aber sehr tapferer Krieger vom Stamme der Haddedihn-Araber.“
„Und kennst du einen Mann, welcher Emir Kara Ben Nemsi Effendi heißt?“
„Das ist ein Herr, ein berühmter Krieger aus dem Land der Nemtsche (Deutschen).“
„Sind diese beiden Männer Freunde oder Feinde der Zibari-Kurden?“
„Freunde, Kara Ben Nemsi ist mehreremale bei ihnen gewesen und hat ihnen gegen ihre Feinde beigestanden. Scheri Schir und Hamsa Mertal haben Blutsbruderschaft mit ihm getrunken, und Schefaka betete täglich für sein Heil, denn ihre Ahnen wohnten in dem Land, aus welchem er stammt.“
„Hast du ihn und Halef gesehen?“
„Nein.“
„Ist jemand hier, der ihn gesehen hat?“
„Wir gehören zu einer andern Abteilung der Zibari und haben weder ihn noch Halef gesehen; aber vor einer Viertelstunde sandte Scheri Schir einen Boten zu mir. Er sitzt draußen am Feuer und wird Kara Ben Nemsi und auch wohl Halef kennen.“
„Hast du von den Waffen dieser beiden Männer gehört?“
„Ja. Hadschi Kara Ben Nemsi hat kleine Pistolen, welche nur einen Lauf haben, aber sechsmal schießen, ferner eine schwere Büchse, aus welcher eine Kugel genügt, um einen Löwen, Panther, Tiger oder Bären zu töten, und endlich eine Zauberflinte, aus welcher er immerfort schießen kann, ohne laden zu müssen. Darum können hundert Krieger es nicht mit diesem einzigen aufnehmen.“
„Ihr habt uns unsere Waffen abgenommen. Wer hat sie jetzt?“
„Ich.“
„Hast du sie genau angesehen?“
„Noch nicht. Ich hatte mit der Herstellung des Lagers zu tun.“
„So geh hinaus, und betrachte sie; aber laß ja keinen Menschen merken, was dir dabei für Gedanken kommen! Wir sind von euch vollständig überrumpelt worden; hätten wir Zeit gefunden, uns unserer Gewehre zu bedienen, so hättet ihr uns nicht gefangen nehmen können.
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