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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wollte:
    „Die Schiiten werden von den Kurden zurückgeschlagen und verfolgt werden. Ihr müßt also euer jetziges Lager verlassen, um euch und euer Eigentum zu retten. Ihr flüchtet euch mit euren Tieren in dieses Tal.“
    Er sah mich erschrocken an und fragte:
    „Sprichst du im Ernst, Emir? Wir haben die Akra-Kurden wieder zu erwarten?“
    „Leider ja; ich denke nicht, daß ich mich irre. Morgen früh, wenn ich euch verlasse, zieht ihr aus und hierher.“
    „Morgen willst du uns verlassen. Jetzt, wo wir einer solchen Gefahr entgegengehen? O, Emir, könntest du dableiben und uns helfen! Wie dankbar würden wir dir sein!“
    „Wir helfen euch. Wir gehen nur auf kurze Zeit fort und werden im Augenblick der Gefahr wieder bei euch sein.“
    „So bleibt doch lieber gleich! Warum wollt ihr erst noch fort?“
    „Um ein Versprechen zu erfüllen, welches ich hier meinem Hadschi Halef Omar gegeben habe. Frag nicht danach. Wir Leute aus dem Abendland sind gar sonderbare Menschen. Es genüge dir, zu wissen, daß euch nichts geschehen wird und daß wir ganz gewiß zur rechten Zeit wiederkommen werden.“
    Mit dieser Auskunft mußte er sich zufrieden geben, und wir kehrten nach dem Lager zurück. Natürlich hatte er dort nichts Eiligeres zu tun, als das, was ich ihm gesagt hatte, zu verkünden. Dadurch erlitt die frohe Feststimmung freilich eine Beeinträchtigung, doch war mir dies nicht unlieb. Wer die Größe der Gefahr erkennt, der schätzt dann die Hilfe um so mehr.
    Zu Mittag, eben als das Glöcklein, wie auch schon früh, zum Gebet geläutet wurde, kehrten die nach Blumenschmuck Ausgesandten zurück. Nach dem Essen wurden Kränze und Girlanden gewunden und vor der Kirche ein Matbah, ein altarähnliches Pult errichtet, von welchem aus ich sprechen sollte. Man schmückte es mit Zweigen und Blumen und besteckte es mit Lichtern, denn das eigentliche Fest war auf den Abend festgesetzt, um durch die Beleuchtung an Feierlichkeit zu gewinnen.
    Ich hatte wirklich meine Freude an diesen halbwilden Menschen. Es lag auf jedem Gesicht der Ausdruck einer Sammlung, welche die Seele beherrschte. Es wurde während des ganzen Nachmittags fast kein lautes Wort gesprochen; ernst und still verkehrten sie miteinander, als ob sie einer hochheiligen Handlung entgegen gingen. Und doch hatten sie nur die Rede eines fremden Mannes zu erwarten, der weder dazu berufen, noch auch ein Priester war.
    Natürlich befand auch ich mich selbst in einer Stimmung, welche mich nach Innen vertiefte, und der kleine Hadschi Halef sagte gegen Abend zu mir:
    „Sihdi, der Christ ist doch ein anderer Mensch als der Moslem; das habe ich längst eingesehen!“
    Es waren ausgehöhlte kleine Kürbisschalen in Lampen verwandelt und auf die Kanten der Dächer gestellt worden; aus Talg gefertigte Kerzen brachte man noch überall an, wo es ging und so viele man hatte. Als die Dämmerung hereinbrach, wurden Lampen und Kerzen angezündet; die Flämmchen brannten ruhig, denn es gab fast gar keinen Luftzug hier in dem abgeschlossenen Tal. Ein schöner Anblick die Flämmchen überall, auf den Dächern, an den Wänden und nahen Bäumen und auch an und auf meinem Pult – hier im wilden, mohammedanischen Kurdistan!
    Dann wurde das Glöcklein geläutet, und der alte, ehrwürdige Salib rief mit lauter Stimme:
    „Hai alas Salih, ya Muminin – auf, ihr Gläubigen, zum Gebet!“
    Dies geschah auf meinen Wunsch, obgleich der Muezzin mit diesen Worten die Mohammedaner zum Gebet auffordert. Wir waren Christen; aber für die heutige Feier paßte kein Ruf so wie dieser, der überdies allen geläufig war und mir den besten Anhalt bot, die Irrtümer des Islam zu beleuchten.
    Alle, alt und jung, groß und klein, versammelte sich nun am Pult. Ich trat an dasselbe und nahm meinen Turban ab. Jeder, der sein Haupt noch nicht entblößt hatte, folgte diesem meinem Beispiel. Dann begann ich meine Rede.
    Das Thema derselben waren dieselben Worte: „Auf, ihr Gläubigen, zum Gebet!“ Am Fest des Rosenkranzes mußte das Gebet das Hauptwort sein. Ich sprach wohl über eine Stunde lang, ohne Vorbereitung, so wie das Herz es mir eingab, erzählte selbsterlebte Beispiele von der Macht des Gebetes und – doch warum soll ich von dieser Laienrede sprechen! Ich mußte oft innehalten, wenn mich ein allgemeines Schluchzen störte und ich selbst so gerührt war, daß es mir aus den Augen perlte. Wie ergreifend klangen dann die englischen Grüße vom Tal aus zu den Höhen empor, dazu das Glöcklein,

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