30 - Auf fremden Pfaden
warteten. Ich bemerkte sie noch im letzten Augenblick und konnte mich noch rechtzeitig zurückziehen; dann schlich ich zu dem schon erwähnten Baum, auf den ich kletterte. Es war eine hohe Fichte, welche so stand, daß ich von meinem Sitz aus, wo die Zweige mich verbargen, den Eingang und den größten Teil des Lagers überblicken konnte.
Mein Sitz war leidlich bequem, aber mit der Zeit wurde er mir doch beschwerlich. Die Stunden vergingen äußerst langsam, und als der Himmel sich zu lichten begann, glaubte ich eine Ewigkeit hinter mir zu haben. Da endlich ging es los; es fiel ein Schuß, und ich hörte Schir Saffis Stimme rufen:
„Zum Teufel, das war zu früh! Wer hat geschossen? Nun aber drauf, schnell drauf!“
Jedoch nur einige Augenblicke später schrie eine andere Stimme im kurdischen Kurmangdschi-Dialekt:
„Feinde, Feinde hier! Ein Überfall! Heraus, ihr Männer von Akra, heraus, und wehrt euch!“
Nun gab es ein wildes Kunterbunt von Schüssen, Schreien und Flüchen. Es war noch nicht so hell, daß ich deutlich sehen konnte, aber ich hörte nach einiger Zeit, daß das Gewühl sich nach dem Eingang hinzog. Die Schiiten schienen also, wie ich erwartet hatte, im Nachteil zu sein und fortgedrängt zu werden. Dann endlich konnte ich das Tor erkennen. Es stand offen. Ein Kurde, jedenfalls der Anführer, stand mit dem Gewehr in der Hand unter demselben und rief mit weitschallender Stimme in den Wald hinein:
„Zurück, zurück, zu den Pferden! Es waren die Schiitenhunde. Wir reiten ihnen nach bis zu ihrem Lager und nehmen Rache!“
Auf diesen Befehl kehrten die Kurden, welche sich zu Fuß an die Verfolgung hatten machen wollen, zurück. Im Lager gab es einige Tote. Es war bewundernswert, wie schnell diese Kurden gerüstet waren und sich mit Proviant versehen hatten. Noch war keine Stunde seit dem Augenblick des Überfalls vergangen, so jagten sie davon, wohl hundert Krieger stark, so, wie der alte Salib gesagt hatte. Es blieben nur die Alten, die Frauen und die Kinder daheim.
Nun war es für uns Zeit. Ich kehrte zu Halef zurück, welcher seine Ungeduld kaum hatte bemeistern können. Wir verließen das Versteck, stiegen auf, ritten um den Berg herum und erreichten den Eingang des Verhaus, welcher noch offen stand. Man sah uns. Einige alte Männer und Frauen kamen uns entgegen.
„Sabah il kher – guten Morgen“, grüßte ich. „Ist die Frau des Dorfältesten hier?“
„Warum?“ fragte ein Alter.
„Ich habe mit ihr zu sprechen. Hat sie Kinder?“
„Ja, vier.“
„Rufe sie mit ihnen! Ich will sie begrüßen.“
Er sah mich mißtrauisch an, ging aber doch nach einer der Hütten, um meinen Auftrag auszuführen. In einigen Augenblicken standen alle die Zurückgebliebenen um uns her, wohl zwei Schock Kinder, Greise und Frauen. Da kam eine noch ziemlich junge Frau aus der Hütte und auf mich zu. Vier Kinder, das jüngste vielleicht vier Jahre alt, waren bei ihr. Ihr Gesicht drückte das größte Erstaunen und auch Sorge aus, aber sie kam doch zu mir heran und fragte:
„Was willst du, Herr?“
„Du bist das Weib des Anführers, und dies sind deine Kinder?“
„Ja.“
„Hast du vielleicht einmal von einem fremden Krieger gehört, welcher Kara Ben Nemsi Effendi heißt?“
„Ja, wir wissen alle von ihm. Er hat Zaubergewehre und –“ sie hielt inne, sah meinen Rappen und mich erschrocken an und schrie: „Herr, bist etwa du dieser Mann?“
„Ja. Doch fürchtet euch nicht. Wir tun euch nichts, wenn ihr uns gehorcht. Gib uns die acht Sklaven heraus, welche ihr vor zwei Jahren den Schiiten und Christen geraubt habt! Gehorchst du, so krümmen wir euch kein Haar, wenn aber nicht, so kommt ihr vor meine Zaubergewehre, und diese deine Kinder sind die ersten, welche sterben müssen!“
Das gab ein Heulen und Schreien! Doch als ich die Revolver zog, trat augenblicklich Stille ein. Ich richtete den Lauf auf eins der Kinder, da rief die Frau:
„Halt, schieß nicht! Wir gehorchen!“
„Sind diese Sklaven gefesselt?“
„Ja, mit Ketten.“
„Nehmt ihnen die Ketten ab! Ich gebe euch soviel Zeit, als man braucht, die erste Sure des Koran fünfmal zu beten. Sind dann die Gefangenen nicht da, so geht das Morden los!“
Welch ein Schreck! Alles rannte davon, um meinen Befehl auszuführen. Es dauerte freilich etwas länger, aber nach Verlauf einer Viertelstunde standen die acht vor uns.
„Nun noch Sättel und Zaumzeug für acht Pferde! Rasch!“ gebot ich.
Als sie nicht sofort gehorchen
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