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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Auswanderung und jeder Klimawechsel im geheimen am inneren Mark zehrt, obgleich die roten Wangen das Gegenteil beweisen wollen. Wir werden vom Kap verschwinden, weil wir uns an den Ureigentümern desselben versündigt haben, und England wird uns folgen, und wenn seine Macht und Herrschaft hier Jahrhunderte lang im Wachsen blieb.“
    „Meint Ihr?“ fragte ich, verwundert über die Aufrichtigkeit, mit welcher er seine innersten Gedanken mir enthüllte, den er vor zwei Minuten zum erstenmal gesehen hatte. „Ich möchte im Gegenteil behaupten, daß von einem Verschwinden, wenn man es nicht ganz und gar äußerlich nehmen will, keine Rede sein kann. Zwei chemische Stoffe, welche wir vermischen, verschwinden nicht, sondern sie entziehen sich nur durch die Gestalt, durch das Produkt, welches sie in ihrer Verbindung bilden, unsern Blicken. So ist es nicht allein in der unorganischen, sondern auch in der organischen Welt, zu welcher ja auch der Mensch und durch ihn das Volk, die Nation zählt. Blickt hinüber nach Amerika! Durch die Verbindung so verschiedener Elemente ist ein neues, eigenartiges Volk entstanden, doch diese Elemente selbst sind noch in ihm vorhanden und – – –“
    „Sehr wohl, Mynheer; aber wollt Ihr nicht zugeben, daß der Indianer wirklich verschwindet, ohne im Yankee wiedergefunden zu werden? Doch da betreten wir ein Feld, dessen Fruchtbarkeit leider zu wenig bekannt ist, als daß seine Bebauung richtig in Angriff genommen worden wäre. Vielleicht bin ich auch ein wenig Phantast; wenigstens würdet Ihr wohl diese Ansicht hegen, wenn ich es unternehmen wollte, Euch so meine Meinungen auseinanderzusetzen.“
    Sein Äußeres machte nun allerdings nicht im mindesten den Eindruck, als ob er phantastische Gesinnungen hege; vielmehr schien seine derbe, kernige Figur nur für das mühevolle, praktische Leben eingerichtet zu sein. Auch seine Kleidung zeigte dies. Er trug auf dem Kopf einen breitrandigen Filzhut, welcher sehr wenig das Recht hatte, elegant genannt zu werden; die Schultern und Brust umhüllte über einem engen Wams aus grobem holländischem Tuch eine einfache graue Wolldecke; die starken Schenkel staken in einer sehr abgerittenen Lederhose, über welche sich lange, wohlgeteerte Stiefelschäfte emporzogen. Seine Bewaffnung schien höchst einfach zu sein, denn sie bestand nur aus einem in einer Büffelscheide steckenden Messer und einer alten, schweren Büchse; doch wer da wußte, mit welcher unfehlbaren Sicherheit der holländische Ansiedler sein ‚Roer‘ zu handhaben versteht, der konnte wohl annehmen, daß diese Büchse schon manchem Kaffer, vielleicht auch Engländer, das Leben gekostet hatte. Wie gesagt, das Äußere dieses Mannes schien so einfach, so nüchtern, daß ich nur antworten konnte:
    „Phantast? Ich denke, Ihr greift mit Euren Ansichten und Meinungen eher in das reale, volle Leben als hinüber in das trügerische Reich der Einbildung. Wer Euer Leben lebt und Eure Erfahrungen sein eigen nennt, wird sich wohl schwerlich den Ruf eines Metaphysikers erwerben, wenn er jemand den Gefallen tut, sich offen auszusprechen.“
    „So? Täte ich Euch einen Gefallen? Ich würde dabei dennoch in diesen Ruf kommen, denn denkt Euch, ich leugne zum Beispiel die Geschichte; ich behaupte, ja ich beweise sogar, daß wir gar keine Geschichte haben!“
    „Wenn Ihr diese Behauptung begründen könnt, so seid Ihr ja doch kein Phantast, Mynheer.“
    „Ja, ich kann sie begründen; ich kann ihre Wahrheit beweisen, und das ist gar nicht so schwer, als man meinen dürfte. Freilich einem gelehrten Professor dürfte ich damit wohl nicht kommen, denn diese Herren haben oft ganz eigentümliche Dogmen. Sie errichten aus dem Material ihre Gedanken und Schlüsse, Gebäude, welche bis zum Himmel reichen, doch unbewohnbar sind, und beachten nicht die dauerhaften Stoffe, welche die Wirklichkeit bietet, uns Wohnungen zu bauen, unter deren Dächern die Menschheit in Sicherheit und Frieden zu weilen vermag. Diese Herren haben Tausende von Büchern über die Geschichte geschrieben, und doch findet man in keinem derselben wirkliche Geschichte.“
    „Ah?“
    „Ja, so ist es! Laßt mich zur Analogie greifen! Unsere Naturkunde zerfällt in drei Teile: in die Kunde von den Naturerscheinungen, den Naturkräften und den Naturgesetzen; ihre Aufgabe ist, zu zeigen, wie gewisse Naturkräfte nach gewissen unumstößlichen Naturgesetzen gewisse Naturerscheinungen hervorbringen. So auch die Geschichte. Sie hat zu lehren

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