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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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benachrichtigen.
    In größerer Nähe angekommen, erkannte ich nun mit dem bloßen Auge acht Gestalten, welche uns teils erwarteten, teils uns entgegen kamen. Unter den ‚Vordersten‘ befand sich Kees Uys, der allerdings ganz erstaunte Augen machte, als er mich sah.
    „Ihr seid es, Mynheer? Das ist ja gar nicht möglich! Was treibt Euch zu uns, und wie kommt Ihr in so kurzer Zeit hierher? Es ist doch nichts Schlimmes vorgefallen?“ fragte er.
    „Schlimmes genug, aber es hat ein gutes Ende genommen“, antwortete ich.
    „Und wen bringt Ihr hier?“
    „Einen Gefangenen, den ich euch zu überliefern habe. Führt mich zu den andern, dann werde ich euch alles erzählen!“
    Ich wurde, als mich Uys vorstellte, von den derben, biederen Männern herzlich willkommen geheißen. Dann nahmen wir den Engländer in die Mitte und schritten, während Quimbo in der Nähe der Wache bei den Pferden blieb, nach der Kloof hinab.
    Dort saßen noch vier Männer. Ihr Gespräch war so ernst gewesen, daß sie sich durch die Nachricht von meinem Nahen in demselben gar nicht hatten stören lassen. Der eine war ein Kaffer von hoher, schlanker, aber kräftiger Figur; ich erriet sofort, daß es Somi, der vertriebene Bruder Sikukunis, sei. Zwei kräftige, untersetzte und echt neerländische Gestalten waren Zingen und van Hoorst, und der vierte, welcher allerdings wie ein Goliath vor mir stand, war kein anderer als Jan van Helmers. Er war um einen vollen Kopf länger als ich, und die Stärke seiner Glieder stand zu dieser Höhe in genauer Proportion. Das Leopardenfell, welches ihm als Karoß (Mantel) über die Schultern hing, erhöhte den Eindruck kriegerischer Stärke, welchen diese Figur machen mußte, und doch blickten seine klugen Augen so gut und mild, daß man ihn vom ersten Augenblick an liebgewinnen mußte.
    „Neef Jan, dieser Mynheer kommt von Jeffrouw Soofje und von Mietje“, benachrichtigte ihn Kees Uys.
    „Von Mietje? Ist's war?“ fragte er.
    „Ja. Er kam mit mir zu ihnen und ist es wert, daß du ihn willkommen heißt!“
    „Das tue ich ohnedies, da er unsern Ort kennt und also einer der Unsrigen ist“, antwortete er, mir kräftig die Hand schüttelnd.
    „Das ist er nicht, Neef Jan. Er ist ein Deutscher und kam nach dem Kap, um hier ein wenig spazieren zu gehen, wie es die deutschen Gelehrten zuweilen machen sollen. Ich brachte ihn zu Jeffrouw Soofje, und diese hat ihn gesendet, um dir wichtige Botschaften zu bringen.“
    „Ah, da ist daheim etwas passiert! Setzt Euch, Mynheer; nehmt einen Trunk, und erzählt dann schnell!“
    Er griff in eine Bodenvertiefung und langte nebst Glas eine Flasche des rühmlichst bekannten Kapweins hervor. Ich tat Bescheid; das Glas ging rundum, und dann warteten alle mit Spannung auf meine Botschaft. Sir Gilbert Grey stand neben mir; eine Flucht aus der Mitte solcher Männer war nicht möglich, und man sah es ihm auch deutlich an, daß er bereit sei, sich in sein Schicksal zu ergeben.
    Ich griff in die Tasche, zog sein Portefeuille hervor und nahm den Brief aus demselben. Er erschrak.
    „Lest einmal diesen Brief, Mynheer!“ bat ich Kees Uys.
    Er tat es und meinte dann:
    „Findet Ihr etwas Sonderliches an ihm?“
    „Gebt ihn weiter!“
    Das Schreiben ging von Hand zu Hand, ohne daß einem einzigen die eigentümliche Fassung desselben aufgefallen wäre. Ich gab es Uys zurück und erklärte:
    „Lest einmal die erste und dritte, die fünfte und siebente Zeile und so weiter, und fangt dann mit der zweiten wieder oben an!“
    Er folgte dieser Weisung, und bald nahm sein Gesicht eine Spannung an, welche die andern neugierig machte.
    „Ah, das ist etwas anderes; das ist ja ein Schreiben, welches wir Euch gar nicht mit Geld bezahlen können!“ meinte er, als er die Lektüre beendet hatte.
    „Gib her; gib her!“ rief es von allen Seiten.
    „Halt, das dauert zu lange. Ich werde euch den Brief vorlesen!“
    Er begann, und als er zu Ende war, zeigte sich die Versammlung in der größten Aufregung.
    „Das ist ja eine wahre Kunst, einen solchen Brief zu schreiben, und eine noch viel größere Kunst, das Geheimnis zu entdecken!“ rief van Raal. „Wer hat es Euch verraten, Mynheer?“
    „Niemand; ich fand es selbst.“
    „Und wo fandet Ihr den Brief?“
    „Nachher! Lest vorher diese Ordre!“
    Ich nahm das Perspektiv des Engländers aus der Tasche und zog das Papier aus dem Rohr. Es wurde wieder von Uys vorgelesen, und auf die dann an mich gerichtete Bitte um Aufklärung wandte ich mich an

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