30 - Auf fremden Pfaden
den Gefangenen:
„Nehmt einmal Eure Mütze ab, Sir Gilbert Grey, und gebt sie diesem Herrn!“
Der Engländer gehorchte beinahe zitternd. Uys nahm die Mütze und nickte.
„Das also ist der Mann, und darum bringt Ihr ihn zu uns! Wollen das Duplikat gleich holen!“
Er zog das Messer hervor und schnitt das Futter auf.
„Hier ist es, und seht, es lautet dem anderen ganz gleich! Aber nun erzählt, Mynheer, wie Ihr zu dem Gefangenen kommt!“
„Ich fand ihn bei Sikukuni.“
„Bei Sikukuni!“ rief es im Kreis, und selbst Somi, welcher bisher ruhig dagesessen hatte, machte eine Bewegung der Überraschung. „Das ist nicht möglich! Sikukuni ist beim Zuluheer drüben hinter den Bergen!“
„Sikukuni ist hier in der Nähe, und wenn ihr ihn fangen wollt, kann ich euch zu ihm führen!“
Sie sprangen alle auf, auch Somi, diese Männer, die sonst nicht leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen waren.
„Scherzt Ihr oder ist es wirklich so?“ wurde ich gefragt.
„Es ist so! Sikukuni war auf Eurer Farm, Mynheer van Helmers; er wollte Jeffrouw Soofje töten und Mietje mit sich nehmen. Ich hinderte ihn daran und verfolgte ihn bis in den Wald, den man zu Pferd in drei Stunden von hier erreichen kann.“
Jan legte mir die Faust schwer auf die Schulter.
„Wenn er den Meinen nur ein Haar gekrümmt hat, so ist er verloren. Erzählt, aber schnell, schnell!“
„Ja, erzählt und laßt uns nicht länger warten!“ mahnten auch die andern.
Ich begann meinen Bericht und erzählte rasch alle Ereignisse seit gestern bis zu dem gegenwärtigen Augenblick. Sie lauschten in atemloser Spannung, und als ich geendet hatte, war der Eindruck von der Wahrheit meines Referates so groß, daß sie alle zu den Waffen griffen.
„Wir müssen hin; wir müssen ihn sofort überfallen!“ rief Jan.
„Ja“, stimmte Zingen bei. „Haben wir ihn, so ist der Aufstand der Zulus schon vor dem Ausbruch so gut wie beendet!“
„Holt die Pferde!“ meinte van Hoorst. „Wir dürfen keine Zeit verlieren!“
„Halt!“ rief ich in die allgemeine Unruhe hinein. „Hört mich, Mynheers, ehe ihr einen Entschluß faßt!“
„Ja, hört ihn“, meinte Kees Uys. „Er hat in allem so gehandelt, daß uns seine Meinung nur von Nutzen sein kann!“
„Ihr seid hier versammelt, um wichtige Dinge zu besprechen. Seid ihr bereits fertig damit?“
„Nein.“
„Und braucht ihr lange Zeit, um es zu werden?“
„Nein. Wir sind im ganzen einig und haben nur noch Nebendinge zu bestimmen.“
„Es bleibt euch Zeit genug dazu, und es ist besser, gleich fertig zu werden, als zuvor von hier aufzubrechen und von neuem zu beginnen.“
„Aber dann entgeht uns Sikukuni!“
„Wie kann er euch entgehen, da er euch hier überfallen will! Ihr könntet ihn ruhig erwarten; da es aber doch möglich ist, daß er Verdacht geschöpft hat, so halte ich es allerdings für besser, ihn im Wald aufzusuchen; doch ist jetzt dazu noch nicht die richtige Zeit.“
„Wann dann?“ fragte Jan, der vor Verlangen brannte, mit dem Zulu zusammenzugeraten.
„Beabsichtigen die Zulus, hierher zu kommen, so wird dies nicht vor nachts geschehen, und suchen wir sie auf, so dürfen wir erst nach Mitternacht aufbrechen, um sie gleich beim Tagesgrauen zu erreichen. In beiden Fällen bleibt euch Zeit zu euren Verhandlungen. Ihr braucht nicht wieder hierher zurückzukehren, könnt im Chore nach Jan van Helmers Farm reiten und dann nach dem Attersberg aufbrechen, um den Transport wegzunehmen, zu welchem ihr vielleicht zu spät kommt, wenn ihr hier zu viel Zeit versäumt.“
„Ihr habt recht“, meinte Zingen, „wenn wir nur sicher wären, daß Sikukuni morgen früh noch zu treffen ist!“
„Ja, er hat recht“, knirschte auch Jan, „wenn nicht Sikukuni auf den Gedanken kommt, uns auch beim Morgengrauen zu überfallen.“
„Warum?“ fragte ich.
„Weil dann beide Gegner zu gleicher Zeit aufbrechen und einander umgehen können.“
„Das ist allerdings ein Gedanke, der seine volle Berechtigung hat.“
„Darum ist es besser, wir brechen sofort auf und –“
„Und lassen uns von den Zulus bemerken“, fiel ich ein. „Verzeiht, Mynheers, wenn ich sage ‚uns‘ und also eure Sache auch zu der meinigen mache! Aber ich habe mich einmal in dieses Abenteuer verwickelt und möchte auch nicht gern den Schauplatz verlassen, bevor ich weiß, zu welchem Ende es führt.“
Da trat van Hoorst zu mir und bot mir die Hand; die andern folgten ihm.
„Redet nicht, Mynheer!“ sagte er.
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