301 - Libretto des Todes
bereits an Wahnfrieds Gurgel hängen.
»Das geht dich nichts an. Oder glaubst du, dass ich dir Rechenschaft schuldig bin?«
»Nein, natürlich nicht.« Der junge Mann knirschte mit den Zähnen. »Aber dadurch verschaffst du Gunnter einen deutlichen Vorteil.«
Wahnfried tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Heiß hier, was?«, fragte er. Und wieder an Annder gewandt: »Es bleibt bei meiner Entscheidung. Mach dir deswegen aber keine Sorgen, Annder, es wird schon alles gelingen.« Es klang wie der blanke Hohn.
Der Operateer, nun rot vor Zorn im Gesicht, sagte nichts mehr, drehte sich stattdessen auf dem Absatz um und stapfte wieder hinaus. Dabei schlug er den Hut zweimal mit voller Wucht gegen einen Sitz.
Wahnfried wandte sich wieder an Matt und Xij. »Ihr müsst diesen kleinen dramatischen Auftritt entschuldigen, auch wenn er zumindest mir viel Spaß bereitet hat. Die heutige Jugend ist viel zu ungeduldig und aufbrausend. Annder ganz besonders. Er ist zwar als Operateer mit Talent gesegnet, vor allem aber ein Hitzkopf. Ein wenig erinnert er mich an meine eigene Jugend, nur dass meine Werke besser waren.«
Matt machte endlich Wahnfried und Xij miteinander bekannt. Der Festspielmeister erhob sich erstaunlich behände und machte sich bereit, seine Gäste durchs Festspielhaus zu führen.
Xij Hamlet ging derweil über die riesige Bühne. »Kurz vor Kristofluu war hier eine der modernsten Theatertechniken weltweit verbaut«, sagte sie laut. »Man konnte die Bühne bis in dreizehn Meter Tiefe versenken. Der Schnürboden scheint heute tiefer zu liegen als damals. Ich schätze, dass es höchstens noch fünfzehn statt der damaligen sechsundzwanzig Meter sind...«
»Das... weißt du?« Wahnfried fixierte Xij mit großen Augen. »Und du kennst das alte metrische System? Erstaunlich. Was weißt du sonst noch über Meister Wagner?«
»Oh, eine ganze Menge.« Xij hustete kurz, fing sich wieder und lächelte gequält. Dann drückte sie ein Tuch unter die Nase. »Entschuldige. Ich sehe, dass ihr die Meister-Wagner-Gardine gar nicht mehr benutzt.«
»Was ist das?« Wahnfried begann sichtlich unruhig zu werden.
»Wagner selbst hat diesen Vorhang erfunden. Er öffnet sich seitlich und nach oben gleichzeitig, so wie die Irisblende einer Kamera.«
Der Festspielmeister schaute Xij nun unverhohlen bewundernd an und legte ihr die Hand um die Schulter. »Davon, meine Liebe, musst du mir mehr erzählen. Auch, was die ›Irisblende einer Kamera‹ ist. Du scheinst Dinge über Meister Wagner zu wissen, die mir selbst unbekannt sind. Sag mir, wie kommt das?«
»In Meeraka, wo Maddrax und ich herkommen, ist noch sehr viel über Meister Wagner bekannt. Seine Stücke werden fast täglich aufgeführt«, log sie. Die Wahrheit hätte ihr der Festspielmeister niemals geglaubt.
»Interessant, interessant. Also kennst du tatsächlich auch die genaue Geschichte des Fliegenden Needer...« Er unterbrach sich. »Aber ich habe Gunnter versprochen, nicht nachzufragen.«
Die beiden diskutierten lebhaft über die Verdunkelung des Zuschauerraums, die ebenfalls eine Idee Wagners gewesen war, über die Logen, von denen Xij Hamlet behauptete, dass es die im ursprünglichen Theater gar nicht gegeben habe, weil Wagner die Reichen und Privilegierten nicht mochte, und über den Mystischen Abgrund. Matt, der sich bald schon als drittes Rad fühlte, erfuhr, dass es sich dabei um den Orchestergraben handelte, den Wagner hatte abdecken lassen, damit das Bühnenbild nicht durch das sichtbare Orchester gestört wurde.
»Aha«, machte Wahnfried und legte die Stirn in Falten. »Als ›Mystischen Abgrund‹ hat Haagen die Probenbühne bezeichnet, die er nicht weit von hier erbauen ließ. Ich nehme an, weil ihm der Name so gut gefallen hat. Dabei...«, er senkte seine Stimme auf ein Flüstern, »soll auf der Bühne ein Fluch liegen, weil kurz nach Fertigstellung der Baumeister und alle Maurer unter geheimnisvollen Umständen ums Leben kamen. Man munkelt, dass dort nun deren Geister umgehen, und manchmal sind des Nachts unheimliche Geräusche und Schreie zu hören.« Wahnfried lachte laut. »Aber das ist natürlich abergläubisches Geschwätz. Die Wahrheit ist, dass Ratzen und anderes Viehzeug sich gegenseitig jagt.«
Sie gingen weiter. Aus dem oberen Stockwerk genossen Matt und Xij einen wunderschönen Ausblick über das Festspielgelände und über das abendliche Barreut. Ein Stück vom Festspielhaus entfernt erstreckte sich der besagte
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