303 - Tod einer Königin
griff entschlossen zu und bekam einen Reißzahn der Bestie zu fassen. Daran zog er ihren Schädel in den Nacken und ihren Rachen weit auf. Dann setzte er den Kranhaken an und riss ihn mit einem kraftvollen Ruck in das Izeekepirmaul.
Die Hakenspitze durchbohrte Zunge und Gaumen und drang an der Oberseite der Schnauze aus dem schmutzig weißen Fell, das sich augenblicklich rot färbte. Oben an der Arenabrüstung wurden Entsetzensschreie laut.
Grao’sil’aana kümmerte sich nicht darum, nicht eine Sekunde hatte er zu verlieren. Blitzschnell kletterte er am Kranseil hinauf. Er versuchte nicht an die auf ihn gerichteten Wurflanzen und Pfeile zu denken. Als er in Evaluunas Höhe war, packte er die nackte Frau, zog sie an sich und biss mit zu messerscharfen Klingen verformten Zähnen das Kranseil durch, an dem sie hing.
Mit der Kriegerin im Arm nahm er den letzten Seilabschnitt bis zum Kran, kletterte hinauf, balancierte hoch über der Arena auf dem Schwenkarm zur Wandverankerung. Unter ihm brüllte der Izeekepir, versuchte den quälenden Haken in Zunge und Gaumen am Käfigkasten abzustreifen und trieb ihn auf diese Weise nur noch tiefer in seine Schnauze.
Erste Pfeile und Lanzen flogen. Die Blasrohrbolzen erreichten Grao’sil’aana hier oben nicht, eine Lanze konnte er mit dem Arm abwehren, ein Pfeil jedoch fuhr ihm in die Hüfte.
Und das, obwohl er seine Schuppen hart wie Stahl gemacht hatte! Normalerweise konnte eine solche Waffe einem Daa’muren nichts anhaben. Was war nur los mit ihm? Das Gift schien ihn weiterhin zu schwächen und verhinderte, dass er einen wirkungsvollen Panzer um seinen Körper bilden konnte!
Er riss den Pfeil heraus. Dampf zischte und die Entsetzensschreie unter ihm wurden lauter. Aus den Augenwinkeln sah er den Jäger mit der Schneckennase im Gesicht nach seinen fliehenden Männern treten und schlagen.
Grao sprang vom Kran, legte die zitternde Kriegerin ab und packte die Kurbel mit beiden Fäusten. Das Kranseil straffte sich. Mit aller Kraft überwand der Daa’mure die Trägheit der riesigen Izeekepirmasse. Ob das brüllende Tier wollte oder nicht – wie eine fette Beute schwebte es am Kranhaken nach oben. Es brüllte und schnaubte und heulte.
Lanzen und Pfeile knallten ein paar Schritte vor Grao’sil’aana gegen die Brüstung und auf den schmutzigen Stein davor. Zu weit weg standen die erschreckten Jäger, um ihre Waffen noch gezielt einsetzen zu können. Doch der kleine Hagere mit dem Geschwür im Gesicht zwang sie mit Schlägen zu einer Angriffsformation. Etwa fünfzig Schritte entfernt rückten sie nun mit gezückten Schwertern und zum Wurf bereiten Lanzen gegen den Daa’muren vor.
Der Kran ächzte, knarrte und schwankte, doch er hielt durch; und als der mal brüllende, mal jaulende Izeekepir dicht unter dem Kranarm hing, schwenkte Grao’sil’aana ihn über die Arenabrüstung nach außen und kurbelte ihn herunter.
Die Primärrassenvertreter sahen es mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen. Sie ließen ihre Waffen sinken, machten auf den Absätzen kehrt und flohen zur nächstbesten Wendeltreppe.
***
Hin und wieder nur lichtete sich der Dunst über den Wellen und die Vormittagssonne konnte für kurze Zeit in Aruulas Ruderboot scheinen; oft und lange genug immerhin, um den Nordkurs Richtung Küste halten zu können.
Die Sonne tat der Kriegerin von den Dreizehn Inseln gut und hellte jedes Mal, wenn sie durchbrach, vorübergehend ihre düstere Stimmung auf. Doch kaum verschwand die leuchtende Scheibe wieder hinter Dunstschwaden, kreisten Aruula Gedanken erneut um ihre Berufung zur Königin und um den Mann, den sie über so viele Winter treu geliebt hatte; und jetzt auch noch um die Ereignisse eines Tages, der zu den schlimmsten ihres Lebens gehörte und der lange zurücklag.
Damals hatte keine Sonne die Nebelbänke durchbrechen können, damals hatte man am Ende nicht einmal mehr den nahen Strand gesehen, und die Angreifer waren wie aus dem Nichts über das Ruderboot hergefallen, in dem sie mit einigen Kindern und einem Dutzend Erwachsener zur Brabeelenernte an die Küste vor Kalskroona gefahren war.
Damals, als sie noch ein kleines Mädchen war und ihre Mutter neben ihr mit einem Pfeil in der Brust starb.
Die Bilder der Vergangenheit bedrängten Aruula mit Macht. Fremde in schwarzen und braunen Fellen stürmten damals aus dem Nebel, bleckten die Zähne, stießen entsetzliche Kampfschreie aus und schwangen Äxte, Schwerter und Dolche über den Köpfen. Auch die
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