305 - Nach Millionen von Jahren
Kriegsmeisterin; eine, die einen kühlen Kopf bewahren konnte und aus jeder Situation das Beste herausholte.
»Was geschah dann?«
Sie machte eine hilflose Geste. »Ich nehme an, da waren Saurier oder zumindest Urzeitfische... und ich trank ihr Blut, um zu überleben. Bis ich selbst zum Opfer wurde.« Sie schauderte. »Der Verlust der Heimat trieb mich in die Verzweiflung. Vielleicht wurde ich dadurch unvorsichtig...« Sie stockte. »Ich glaube, ich wurde selbst zum Monster. Als ich starb, wechselte mein Geist in den Leib der Urzeitbestie, die mich angefallen hatte. Bis dahin wusste ich nicht, dass die Gabe in mir schlummerte.«
Gilam’esh nickte. »Bei vielen tritt sie erst in Augenblicken höchster Gefahr zutage, wie ein angeborener Reflex.«
»Ich muss zahllose tierische Existenzen durchlebt haben, ehe ich endlich Hydriten und später auch Menschen fand, in die mein Geist wechseln konnte«, fuhr Manil’bud fort.
Wieder nickte Gilam’esh. »Nachdem ich bei meiner Geistwanderung festgestellt hatte, dass die Erde noch zu wild und gefährlich war, um unserem Volk eine Heimat zu bieten, justierte ich den Zeitstrahl so, dass wir kurz vor Auftauchen der ersten Urzeitmenschen auf ihr ankamen. Also lange nach deiner Zeit.« Er senkte die Stimme. »Ich hätte nie gedacht, dass du all diese Jahrmillionen überlebst.«
Sein Kopf schwirrte bei der Vorstellung, was sie durchgemacht haben musste. Während er selbst nach dem Exodus seines Volkes als körperloser Geist im Zeitstrahl gefangen saß, hatte sie ein Leben nach dem anderen gelebt – eines bestialischer als das andere. Ein Kampf ums Überleben in den Körpern urzeitlicher Monster. Es schien ihm wie ein Wunder, dass sie dabei ihre geistige Klarheit behalten hatte. Ihn selbst hatten die Milliarden Jahre des Wartens und Ausharrens beinahe in den Wahnsinn getrieben. Erst der Kontakt mit Yann Haggard, in dessen Körper er den Zeitstrahl verlassen konnte, hatte ihn wieder zur Vernunft gebracht.
Er schwieg und dachte über Manil’buds Worte nach. Sein Blick glitt zu den bionetischen Maschinen, die zum Glück nicht mehr gebraucht wurden. Ihre Organe arbeiteten, wenn auch die Lunge nur stark eingeschränkt. Er wusste, dass jede Bewegung zu einem Husten- oder Schwächeanfall führen konnte.
Nach einer Weile suchte er erneut ihren Blick. »Was nun, Manil’bud? Wie soll es weitergehen? Für welchen Körper hast du dich entschieden?« Es ärgerte ihn, es nicht zu wissen. Sie verschwieg ihm bislang ihre Entscheidung, und Bel’ar ließ ihn die Kammer mit dem Klon nicht betreten.
»Das sage ich erst in Gegenwart von euch beiden. Von Matt und dir.«
Er verzog die Quastenlippen. »Warum machst du so ein Geheimnis daraus? Wir haben uns geliebt. Mir kannst du es doch sagen.«
Sie hob stolz den Kopf. Schon immer hatte sie Selbstvertrauen besessen, aber diese Menschenfrau wirkte noch störrischer und rätselhafter, als er Manil’bud in Erinnerung hatte. »Nein. Ich schätze euch beide sehr. Für dich bin ich immerhin mehrfach gestorben, findest du nicht? Und auch Matt ist ein Mensch, der mir sehr wichtig ist. Er hat Schlimmes durchgemacht, viel mit mir geteilt und steht jetzt allein da. Glaub nicht, dass ich mir die Entscheidung einfach gemacht habe.«
»Du sagtest, du wartest ab, bis er wach ist. Nun ist er wach.«
»Aber er ist nicht hier.«
Gilam’esh sah ein, so nicht weiterzukommen. »Also gut. Ich werde...«
Er unterbrach sich, als die Schleuse sich öffnete und Bel’ar hereinkam. Ihre Schuppen wirkten ungewöhnlich fahl, die Augen entsetzt aufgerissen. »Er... er ist weg. Ich verstehe das nicht. Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen. Er ist weg.«
Manil’bud lehnte sich im Bett zurück und drückte ihre Hände gegen die Schläfen. »Falls du Matt meinst, der wollte...«
»Ich meine nicht Maddrax!« Bel’ar atmete tief ein, was ihr sichtlich Mühe bereitete. Es dauerte immer eine Weile, bis die Kiemenatmung sich vollständig auf die Lungenatmung umgestellt hatte.
Die Hydritin verlagerte ihr Gewicht und stand breitbeinig da, als bräuchte sie Halt. »Ich meine den Klon. Der Klon ist weg! Der Sperrcode des Tanks wurde geknackt oder umgangen.«
»Was?«, fragten Manil’bud und er wie aus einem Mund.
Gilam’esh spürte, wie sich sein Scheitelkamm sträubte. »Er wurde gestohlen?«
»Ja.« Bel’ars Stimme klang brüchig. »Und das genau zu dem Zeitpunkt, ab dem er lebensfähig wurde. Er ist zwar noch nicht ganz ausgereift, aber schon bezugsfertig, wenn auch
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