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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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nachdem, wann er Zeit hatte - kam er mit Tomatensalat und Wurstbroten oder einer warmen Mahlzeit, die er mit mir teilte. Nudeln mit Fleisch und Soße, Reisfleisch, österreichische Hausmannskost, die seine Mutter für ihn vorgekocht hatte. Damals hatte ich keine Vorstellung, woher das Essen kam und wie er lebte. Ob er vielleicht sogar eine Familie hatte, die eingeweiht war und gemütlich mit ihm im Wohnzimmer saß, während ich auf meiner dünnen Matratze im Keller lag. Oder ob im Haus oben die Auftraggeber lebten, die ihn nur nach unten schickten, damit er mich vernünftig versorgte. Er achtete tatsächlich sehr darauf, dass ich mich gesund ernährte, und brachte mir regelmäßig Milchprodukte und Obst.
    Eines Tages waren ein paar geviertelte Zitronen darunter, die mich auf eine Idee brachten. Es war ein kindlicher und naiver Plan - doch damals erschien er mir genial: Ich wollte eine Krankheit vortäuschen, die den Täter zwang, mich zu einem Arzt zu bringen. Ich hatte von meiner Großmutter und ihren Freundinnen immer wieder Geschichten aus der Zeit der russischen Besatzung in Ostösterreich gehört - wie sich die Frauen den Vergewaltigungen und Verschleppungen entzogen, die damals gang und gäbe waren. Einer der Tricks war, rote Marmelade so im Gesicht aufzutragen, dass es nach einer schlimmen Hautkrankheit aussah. Ein anderer drehte sich um Zitronen.
    Nachdem ich wieder allein war, löste ich mit meinem Lineal vorsichtig die hauchdünne Haut vom Fruchtfleisch der Zitronen ab. Dann klebte ich sie mir sorgfältig mit Creme auf meinen Arm. Es sah ekelerregend aus - als hätte ich wirklich eine eitrige Entzündung. Als der Täter zurückkam, hielt ich ihm meinen Arm entgegen und täuschte große Schmerzen vor. Ich wimmerte und bat ihn, mich unbedingt zu einem Arzt zu bringen. Er starrte mich unverwandt an, dann wischte er mir mit einer einzigen Geste die Zitronenhäutchen vom Arm.
    An diesem Tag drehte er mir das Licht ab. Im Dunklen liegend zermarterte ich mir den Kopf nach weiteren Möglichkeiten, mit denen ich ihn dazu zwingen konnte, mich freizulassen. Mir fiel keine mehr ein.
     
    * *  *
     
    Meine einzige Hoffnung ruhte in jenen Tagen auf der Polizei. Ich rechnete zu diesem Zeitpunkt noch fest mit einer Befreiung und hoffte, dass sie stattfinden würde, bevor er mich doch noch den ominösen Hintermännern übergab - oder sich jemand anderen suchte, der mit einem gekidnappten Mädchen etwas anfangen konnte. Ich wartete jeden Tag darauf, dass Männer in Uniform die Mauer zu meinem Verlies durchbrachen. Tatsächlich war in der Welt draußen die Großfahndung nach mir schon am Donnerstag, nach nur drei Tagen, eingestellt worden. Die Suche in der Umgebung war erfolglos geblieben, nun befragte die Polizei alle Personen in meinem Umkreis. Nur in den Medien erschienen noch täglich Aufrufe mit meinem Bild und der immer gleichen Beschreibung:
    »Das Mädchen ist etwa 1,45 Meter groß, 45 Kilogramm schwer und von stärkerer Statur. Es hat glatte hellbraune Haare mit Stirnfransen und blaue Augen. Bekleidet war die Zehnjährige zum Zeitpunkt ihres Verschwindens mit einer roten Skijacke samt Kapuze, einem jeansblauen Kleid mit Oberteil, dessen Ärmel grau-weiß kariert sind, einer hellblauen Strumpfhose sowie schwarzen Raulederschuhen der Größe 34. Natascha Kampusch trägt eine Brille mit einer ovalen Fassung und einem hellblauen Kunststoffrahmen mit gelbem Nasenbügel. Laut Exekutive schielt sie leicht. Das Kind hatte einen blauen Kunststoffrucksack mit gelbem Deckel und türkisem Tragegurt bei sich.«
    Aus den Akten weiß ich, dass nach vier Tagen über 130 Hinweise eingegangen waren. Man wollte mich mit meiner Mutter in einem Supermarkt in Wien, allein in einer Autobahnraststätte, einmal in Wels und gleich dreimal in Tirol gesehen haben. Die Polizei in Kitzbühel fahndete tagelang nach mir. Ein Team österreichischer Beamter reiste nach Ungarn, wo mich jemand in Sopron entdeckt haben wollte. Das kleine ungarischen Dorf, in dem ich das vorangegangene Wochenende noch mit meinem Vater in seinem Ferienhaus verbracht hatte, wurde systematisch von ungarischen Polizisten durchkämmt, eine Nachbarschaftswache wurde aufgestellt, das Haus meines Vaters überwacht - man vermutete, ich hätte vom Wochenende noch meinen Kinderausweis bei mir und könnte dorthin weggelaufen sein. Ein Mann rief bei der Polizei an und forderte eine Million Schilling Lösegeld für mich. Ein Trittbrettfahrer und Betrüger, wie so viele, die noch

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