3096 Tage
Gefangene, als Mobiliar und Personal zur Verfügung stehen. Er versuchte, mich als die Partnerin heranzuziehen, die er nie gefunden hatte. »Echte« Frauen kamen nicht in Frage. Sein Frauenhass war tief und unversöhnlich und brach immer wieder in kleinen Bemerkungen aus ihm heraus. Ich weiß nicht, ob er früher Kontakt zu Frauen hatte, vielleicht sogar eine Freundin in seiner Zeit in Wien. Während meiner Gefangenschaft war die einzige »Frau in seinem Leben« seine Mutter - ein Abhängigkeitsverhältnis zu einer überidealisierten Figur. Die Lösung von dieser Dominanz, die ihm in der Realität nicht gelang, sollte in der Welt meines Verlieses durch eine Umkehrung der Verhältnisse geschehen, indem er mich dazu heranzog, die Rolle der unterwürfigen Frau zu übernehmen, die sich fügen und zu ihm aufblicken sollte.
Sein Bild einer heilen Familienwelt war wie aus den 1950er Jahren entsprungen. Er wollte ein fleißiges Frauchen, das zu Hause mit dem Essen auf ihn wartete, das nicht widersprach und perfekt die Hausarbeiten erledigte. Er träumte von »Familienfesten« und Ausflügen, genoss unsere gemeinsamen Mahlzeiten und zelebrierte Namenstage, Geburtstagsund Weihnachtsfeiern, als gäbe es kein Verlies und keine Gefangenschaft. Es war, als versuchte er, durch mich ein Leben zu führen, das ihm außerhalb seines Hauses nicht gelang. Als sei ich ein Krückstock, den er am Wegesrand mitgenommen hatte, um in dem Moment, in dem sein Leben nicht lief, wie er es wollte, eine Stütze zu haben. Ich selbst hatte dabei mein Recht auf ein eigenes Leben verwirkt. »Ich bin dein König«, sagte er, »und du bist meine Sklavin. Du gehorchst.« Oder er erklärte mir: »Deine Familie sind doch alles Proleten. Du hast gar kein Recht auf ein eigenes Leben. Du bist da, um mir zu dienen.«
Er brauchte dieses wahnsinnige Verbrechen, um sich seine Vorstellung einer perfekten, kleinen, heilen Welt zu verwirklichen. Doch letztendlich wollte er von mir vor allem eins: Anerkennung und Zuneigung. Als wäre sein Ziel hinter all der Grausamkeit, von einem Menschen absolute Liebe erzwingen zu können.
* * *
Als ich 14 geworden war, verbrachte ich zum ersten Mal seit vier Jahren eine Nacht über der Erde. Es war kein Gefühl der Befreiung.
Ich lag starr vor Angst im Bett des Täters. Er sperrte die Tür hinter sich zu und platzierte den Schlüssel auf dem Schrank, der so hoch war, dass er selbst nur auf Zehenspitzen hinaufreichte. Für mich war er damit unerreichbar. Dann legte er sich zu mir und fesselte mich an den Handgelenken mit Kabelbindern an sich.
Eine der ersten Schlagzeilen über den Täter nach meiner Selbstbefreiung lautete: »Die Sexbestie«. Ich werde über diesen Teil meiner Gefangenschaft nicht schreiben - es ist der letzte Rest an Privatsphäre, den ich mir noch bewahren möchte, nachdem mein Leben in Gefangenschaft in unzähligen Berichten, Verhören, Fotos zerpflückt wurde. Doch so viel will ich sagen: In ihrer Sensationsgier lagen die Boulevardjournalisten weit daneben. Der Täter war in vielerlei Hinsicht eine Bestie und grausamer, als man es sich überhaupt ausmalen kann - doch in dieser war er es nicht. Natürlich setzte er mich auch kleinen sexuellen Übergriffen aus, sie wurden Teil der täglichen Drangsalierungen, wie die Knüffe, die Fausthiebe, die Tritte im Vorbeigehen gegen das Schienbein. Doch wenn er mich in den Nächten, die ich oben verbringen musste, an sich fesselte, ging es nicht um Sex. Der Mann, der mich schlug, in den Keller sperrte und hungern ließ, wollte kuscheln. Kontrolliert, mit Kabelbindern gefesselt, ein Halt in der Nacht.
Ich hätte schreien können, so schmerzhaft paradox war meine Lage. Aber ich brachte keinen Ton heraus. Ich lag neben ihm auf der Seite und versuchte, mich möglichst wenig zu bewegen. Mein Rücken war, wie so oft, grün und blau geschlagen, er tat so weh, dass ich nicht daraufliegen konnte, die Kabelbinder schnitten ins Fleisch. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken und verkrampfte.
Bis zum nächsten Morgen blieb ich an den Täter gefesselt. Wenn ich aufs Klo musste, dann musste ich ihn wecken, und er begleitete mich, sein Handgelenk an meinem, bis zur Toilette. Als er neben mir eingeschlafen war und ich mit rasendem Herzklopfen wach lag, überlegte ich, ob ich die Fessel wohl sprengen könnte - doch ich gab es bald auf: Wenn ich das Handgelenk drehte und meine Muskeln anspannte, schnitt das Plastik nicht nur in meinen Arm, sondern auch in seinen. Er wäre
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