31 - Und Friede auf Erden
davon stets eine Anzahl bei mir, um jederzeit imstande zu sein, meinen menschlichen Verpflichtungen nachzukommen.“
Er legte eine der Karten auf den Tisch und fuhr dann fort:
„Sie sehen, sie ist auf der einen Seite leer. Auf der andern stehen die Zeichen der drei Worte ‚Schin‘, ‚Ti‘ und ‚Ho‘. Das heißt Humanität, Bruderliebe und Friede. Jeder, aber auch jeder, der zu uns gehört, hat im Sinne dieser drei Begriffe zu handeln. Wer auch nur ein einziges Mal dagegen verstößt, muß als ehrlos aus dem Bund scheiden. Dieser Bund erstreckt sich weit über China hinaus und wirkt ohne alles Geräusch, in tiefster Stille. Wir fragen nicht, wer oder was der ist, der Hilfe braucht, und bringen sie dem Feind ebenso gern wie dem Freund, womöglich ohne daß er es bemerkt. Am allerwenigsten fragen wir nach der Verschiedenheit der Religion. Nicht wer genauso denkt wie wir, sondern ein jeder Mensch, der uns nötig hat, soll unser Bruder sein, der Nächste neben uns, dem wir die Hand zu reichen haben. – So das sei für heut. Und nun lassen Sie uns gehen, damit wir dann imstande sind, den Kranken aufzunehmen!“
Da reichte ihm der Governor die Hand und sagte:
„Mr. Tsi, wahrhaftig, Ihr seid ein ganzer Kerl! Sagt, raucht Ihr vielleicht?“
„Ja, zuweilen, wenn es paßt.“
„So erlaubt mir, Euch eine meiner Tabakspfeifen zu schenken, sobald wir wieder auf die Jacht gekommen sind. Ich hoffe, wir rauchen miteinander noch manchen Kopf in Stücke!“
Da lachte Raffley lustig auf und rief:
„Aber Uncle, er ist ja ein Chinese! Was habt Ihr da getan!“
„Aber was Chinese!“ antwortete der Gefoppte. „Er ist ja gar keiner! Sondern ein Gentleman, der mir gefällt! Nun kommt; wir müssen fort!“
Wir bezahlten unser Getränk und begaben uns nach dem Kratong. Mein Sejjid, welcher in einiger Entfernung von uns auch bei einer Limonade gesessen und unser Gespräch mit dem Malaien beobachtet und gehört hatte, folgte uns.
Als wir die Zitadelle erreichten, kam uns der Gouverneur entgegen, um uns unsere Räume anzuweisen. Der Uncle hatte ihn sehr treffend als ‚holländischen Mijnheer‘ charakterisiert. Dieser Offizier war überaus höflich, aber auch überaus kühl und zurückhaltend. Er hatte von dem Governor natürlich erfahren, was mit Waller geschehen war, vermied es aber, hiervon zu sprechen. Wir waren so vernünftig, einzusehen, daß dieses Schweigen ein wohlberechtigtes sei. Er hatte den Missionar gewarnt, die freien Malaien hoch oben im Gebirge aufzusuchen, war aber nicht gehört worden. Nun, da es sich herausgestellt hatte, wie wohlbegründet seine Warnung gewesen war, konnten wir nicht von ihm verlangen, daß er sich Mühe zu geben habe, gerührt und mitleidig zu erscheinen. Es war im Gegenteil schon dankbar anzuerkennen, daß er sich so rücksichtsvoll zeigte, den, der nicht auf ihn gehört hatte, wieder bei sich aufzunehmen, und zwar als Schwerkranken, der von der Gastfreundschaft viel größere Opfer forderte als ein Gesunder.
Die uns angewiesenen Zimmer lagen alle nebeneinander. Zwischen einigen von ihnen gab es innere Verbindungstüren, so daß wir uns besuchen konnten, ohne erst hinaus auf den Korridor gehen zu müssen. Und ebenso willkommen war uns der Umstand, daß es an Stelle der Fenster Türen gab, durch welche wir aus unsern Wohnungen direkt hinaus in das Freie treten konnten. Ein jeder von uns bekam einen holländischen Soldaten zur Bedienung zukommandiert. Diese Leute sprachen alle ziemlich gut malaisch, wenigstens den dortigen Dialekt. Sogar meinem Sejjid Omar wurde einer zugestellt. Diese beiden wurden gleich am ersten Tag ‚dicke Freunde‘, und es bereitete uns andern ein stillgenossenes Vergnügen, den Araber mit seinem Nederländer holländisch zu malaien oder malaisch holländern zu hören.
Die beste Stube wurde natürlich für den Kranken bestimmt, und ebenso selbstverständlich war es, daß Mary, seine Tochter, neben ihm zu wohnen kam. Die Möbel waren überall zwar einfach, aber höchst bequem, dem Klima und Gewohnheiten dieser Gegend angemessen. Mit einem Wort, wir sahen uns ganz vortrefflich installiert und hatten das nicht etwa uns oder unseren Vorzügen und Verdiensten, sondern nur der noblen Gesinnung des ‚Mijnheer‘ zuzuschreiben, zumal wenn wir an den so rücksichtsvoll versteckten Vorwurf der Hafenbeamten dachten: „Wir haben grad jetzt scharfe Differenzen mit den Eingeborenen, und es gibt eine europäische Nation, welche ihnen heimlich Waffen liefert. Sie
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