31 - Und Friede auf Erden
Mann sagte, daß er nachfragen wolle.
Ich hatte geglaubt, sie habe ihn schon erhalten, noch ehe sie mit ihrem Vater in die Berge gegangen war; nun hörte ich aber, daß ich mich geirrt hatte. Es dauerte nur einige Minuten, so kehrte der Diener zurück und brachte den Brief. Er war, was man einen Doppelbrief nennt, und ich sah gleich an seinem Format und an seiner Stärke, daß er das Notizbuch enthielt. Indem sie ihn öffnete, machte sie die an mich gerichtete Bemerkung:
„Wir trafen in Indien mit einem lieben Bekannten, einem Professor aus Philadelphia, zusammen, bei welchem ich mein Notizbuch liegenließ. Der Verlust hätte mir nicht nur seines Inhaltes, sondern auch noch eines andern Grundes wegen leid getan. Erinnern Sie sich der vier Zeilen, welche mir im Kontinentalhotel in Kairo vom Winde zugeweht wurden?“
„Ja“, antwortete ich.
„Nun, dieses Blatt steckt mit in dem Buch. Ich habe diese Zeilen geradezu liebgewonnen. Es spricht mich aus ihnen eine Seele an, die mir bekannt sein muß, obgleich ich mich ihrer nicht erinnern kann. Ja, hier ist es noch. Wie freut mich das!“
Sie legte das Blatt, welches sie aus dem Notizbuch genommen hatte, auf den Tisch und las dann den Brief des Professors. Als sie damit fertig war, steckte sie ihn in das Buch und wollte auch das Blatt dazutun. Da aber kam ihr der Impuls, es zu öffnen. Sie faltete es auseinander. Ich beobachtete ihr Gesicht, natürlich unauffällig. Sie war zunächst nur darüber überrascht, acht Zeilen anstatt nur vier zu finden. Dann las sie. Sie sann und sann.
„Sonderbar, höchst sonderbar!“ sagte sie. „Hier, bitte, lesen Sie!“
„Ich kenne es ja schon. Sie zeigten es mir später“, antworte ich.
„Lesen Sie es dennoch, und sagen Sie mir dann, was Ihnen auffällt!“
Ich folgte ihrer Aufforderung.
„Nun?“ fragte sie.
„Die Strophe hat jetzt acht Verse, während sie früher nur vier hatte, glaube ich.“
„So ist es. Ich kann mir das nicht erklären!“
„Aber ich! Der Professor hat es gelesen und dann die vier Zeilen hinzugedichtet.“
„Der? Dichten? O nein! Sehen Sie übrigens da seine Schrift und diese hier! Es ist ganz, ganz genau dieselbe Hand! Und nicht nur das, sondern auch derselbe Geist, dieselbe Seele, dieselbe Liebe! Professor Garden würde nie, nie in seinem Leben auf die Wendung kommen:
‚Grad weil sie einst für Euch den Tod erlitt,
Will sie durch Euch nun ewig weiter lieben.‘
Er hat auch Seele, aber diese nicht, nein, diese nicht! Es spricht hier eine Stimme zu mir, fast wie die Stimme meiner verstorbenen Mutter. Ich stehe vor einem Rätsel, welches – – –“
Sie wurde unterbrochen. Es kam ein Malaie über den Platz zu uns herüber und bot ihr einen Blumenstrauß zum Kauf an. Das war hier etwas ganz Gewöhnliches und fiel uns gar nicht auf. Nun aber folgte etwas, was wir nicht erwartet hatten. Ich gab ihm nämlich eine hinreichende Münze, worauf er den Strauß vor Mary auf den Tisch legte, aber nicht nur ihn, sondern auch die Hälfte einer eigentümlich zerschnittenen Betelnuß!
In diesem Augenblick kam der Governor. Er sah die halbe Nuß, griff hastig nach ihr und forderte Mary auf, ihm die andere Hälfte zu geben. Beide paßten ganz genau zusammen. Da wandte er sich an den Malaien:
„Sprichst du englisch?“
„So viel, wie ich hier brauche“, antwortete der Mann. Er sah furchtlos zu ihm auf.
„Was tust du, wenn ich dich arretieren lasse?“
„Nichts. Ich komme wieder frei, aber der Tuwan (Herr) aus Amerika ist verloren!“
Da wandte sich der Governor an Tsi:
„Sie wollen ihn ohne unser Geld und ohne unsere Hilfe befreien. Nun, tun Sie das! Es handelt sich um unsere Wette.“
„Nach Ihnen, Mylord!“ Lächelte der Chinese. „Ich bitte, diesen Mann auszufragen! Sie müssen doch erst sehen, wie leicht oder wie schwer es ist, Mr. Waller wiederzubekommen.“
Da ergriff Raffley das Wort, indem er den Malaien fragte:
„Woher kennst du die Lady, und wie kommst du hierher?“
„Ich war mit bei dem Brand des Tempels, auch mit bei der Beratung der Häuptlinge und habe die Tochter des Fremden genau gesehen“, antwortete der Eingeborene. „Dann wurde ich hierher geschickt, um sie zu erwarten. Ich wartete in der Nähe des Hauses, wo sie Limonade trank. Ich ging mit nach dem Bahnhof; ich fuhr mit hierher, und ich kaufte diese Blumen, um sie ihr zu bringen.“
„Wo ist ihr Vater?“
„Das darf ich nicht sagen. Er ist sehr krank; aber er lebt; er sehnt sich nach ihr und wird ihr
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