Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn hingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verlorengehen, sondern das ewige Leben haben!‘ Ich brachte dieses unendlich tiefe und ebenso unendlich erhabene Wort aus Kuang-tscheu-fu mit, wo ich es in einer englischen Bibel fand, die ich während vieler Nächte las, die Sprache zu erlernen. Ich nahm es mit nach Sumatra, hinauf in unsere Berge. Ich lehrte und erklärte es meinen Malaien und ließ es dann an die beste Stelle unseres Tempels schreiben. Denn wenn Gott der Menschheit eine so große Liebe zeigt, daß er für sie ein so unaussprechliches Opfer bringt, so hat er damit kundgetan, daß auch der Mensch zum Menschen nichts anderes zu sein habe als nur Liebe. In dem Augenblick, in welchem Gottes Sohn zur Erde kam, wurde die Gottesliebe als Menschenliebe inkarniert. Das sollten meine Malaien wissen; das sollten sie merken; danach sollten sie leben, und darum sollten sie es täglich und stündlich im Tempel lesen können. Es verging kein Tag des Gottesdienstes, an dem ich nicht von diesem Wort sprach. Es war mir teuer, unendlich teuer, und auch sie hatten es liebgewonnen und beherzigten es in allem, was sie taten. Da aber kam der fromme Missionar und vernichtete es, indem er unser Heiligtum verbrannte! Wißt Ihr, was mein Volk mich nun zu fragen hat und was alle mir unterstellten Priester mich bei der nächsten Zusammenkunft fragen werden? ‚Wie konntest du uns eine Liebe bringen, die sich als Haß mit eigener Hand vernichtet!‘ So, so wird es von allen Lippen tönen, und nun bitte ich Euch, Sir, sagt mir, was ich antworten soll!“
    Er hatte schon, während er sprach, nicht mehr gegessen; jetzt schob er den Teller weit von sich. Sich von uns abwendend, schaute er auf die weite See hinaus, und es schien mir, als beginne es, in seinen Augen feucht zu werden. Nach einiger Zeit hatte er sich überwunden, drehte sich uns wieder zu und sagte:
    „Wir haben mehr verloren, als ihr denkt! Nicht mir, denn ich stehe fest, aber allen denen, welche meinen Worten glaubten, wurde nicht etwa bloß der Tempel vernichtet, sondern mit ihm auch das Vertrauen zu der göttlichen Liebe, die so groß war, daß sie ihren eingeborenen Sohn dahingab, auf daß kein Mensch, kein einziger, verlorengehe. Wir werden einen neuen Tempel bauen; aber darf ich diesen Spruch wieder an eine seiner Wände schreiben? Nein! Denn er ist ein christlicher, und ein christlicher Priester hat ihn ausgelöscht in allen, allen Herzen, außer dem meinen! Ich sagte ja schon: Nicht das Wort, sondern das lebendige Beispiel wirkt und erhebt. Und dieses Beispiel hat zwischen uns und Euch entschieden. Wir geben Euch Eure schönen Worte zurück. Wir brauchen sie nicht, denn wir haben mehr als Ihr; wir haben – unsere Shen!“
    Er machte eine Armbewegung, als ob er etwas wegwerfe, und erhob sich von seinem Sitz. Da standen auch wir auf. Die Lust zum Weiteressen war uns vergangen. Um nur etwas zu sagen, griff der Governor nach dem zuletzt gehörten Wort und fragte:
    „Shen? Wer und was ist denn eigentlich diese Shen?“
    „Wißt Ihr das noch nicht? Hat es Euch der Sohn noch nicht gesagt? Es ist die Menschheitsverbrüderung, der große Bund aller derer, die sich verpflichtet haben, nie anders als stets nur human zu handeln.“
    „Wer kann beitreten?“
    „Jeder! Doch hat er allem zu entsagen, was gegen die Menschen- und die Nächstenliebe ist.“
    „Herrlich, herrlich! John, das ist etwas für uns! Werden wir Mitglieder! Nicht?“
    Da hob der Priester die Hand empor, als ob er abzuwehren habe, und sagte:
    „Das ist nicht so leicht und geht nicht so schnell, wie Ihr denkt, Mylord! Man würde Euch prüfen, und diese Prüfung würde strenger sein als jede Selbstprüfung. Seid Ihr überzeugt, sie bestehen zu können?“
    „Ich hoffe! An wen hat man sich zu wenden, um aufgenommen zu werden?“
    „An niemand. Ihr habt den Wunsch geäußert, und das ist genug. Das Leben wird Euch prüfen. Vergeßt das nicht. Denkt allezeit daran! Jede einzelne Inhumanität gegen Freund oder Feind, Christ oder Heide, die vor das Auge oder vor das Ohr des Lebens kommt, würde Euch ausschließen. Die ‚Shen‘ sieht mehr und hört mehr, als Ihr denkt. Erweist Ihr Euch aber als würdig, so wird Euch die Aufnahme zugehen, wann und wo Ihr es am allerwenigsten denkt. Der Wind sogar kann sie Euch vor die Füße wehen. Oder Ihr findet sie in dem kleinen Täschchen Eures Notizbuches und könnt Euch nicht erklären, wie sie da hineingekommen ist. Unser

Weitere Kostenlose Bücher