31 - Und Friede auf Erden
‚Shen‘ es ihm gebot:
„Und du, mein Freund? Für welche Zeit ist dein Aufenthalt hier berechnet?“
„Für nur noch eine Stunde“, antwortete der Gefragte, indem er sich auch erhob. „Meine Sendung ist erfüllt. Ich kehre nach meinem entlegenen Kampong zurück, entlegen von der Welt, doch nicht vom Menschentum. Ich tat nur meine Pflicht; gerne aber täte ich noch mehr. Was aber könnte das sein? Ich bin arm. Ich habe nichts als himmelwärts mein Gebet und erdenwärts meinen Segen. Den Segen gab ich schon. Wohlan, so sag ihnen beiden, dem Vater ebenso wie der Tochter, daß ich auch für sie beten werde, sooft ich ihrer gedenke. Wir werden einen neuen Tempel bauen, und mein Fuß wird der erste sein, der ihn betritt, in stiller Einsamkeit, begleitet von keinem anderen. In früher Morgenstunde, wenn die Finsternis der Nacht versinkt und das Licht des Tages steigt. Wenn ich dann denke, daß auch ein anderes Dunkel zu verschwinden und eine Klarheit zu erscheinen habe, werde ich meine Knie beugen, um zu beten für den Mann, der uns den alten Tempel zerstörte, weil er nicht wußte, daß Himmelsgedanken niemals vernichtet werden können, sondern aus der vermeintlichen Unterdrückung nur um so reiner und um so höher emporzustreben haben. Grüße mir sie, und grüße mir auch ihn, sobald er zu neuem Leben erwacht! Möge es seinem Herzen diejenige Güte bringen, welche nie vergißt, daß andere Menschen auch nicht ohne Herz und auch nicht ohne Empfindung sind für das, was man ihnen tut!“
Er ging hinaus, und Tsi schloß sich ihm an, denn sie hatten wohl noch miteinander zu sprechen. Da schlug der Governor mit der Hand auf den Tisch und sagte:
„Das, das ist der Schluß, ja, der Schluß, wie er gar nicht anders kommen konnte, wenigstens für mich! Zu dem Araber und dem Chinesen nun auch noch der vorhergesagte Dritte, der Malaie! Nun muß ich allerdings erklären, daß ich mich zu schämen habe, vor ganz Asien zu schämen habe! Ich fühle mich vor den großen, erhabenen herrlichen Gestalten der Nächstenliebe und Menschheitsethik, welche Christus lehrte, als vollständig heruntergekommene Persönlichkeit! Ich setzte nicht die Menschheit und die Menschlichkeit, sondern mich selbst obenan. Nicht ich wollte ihr dienen, sondern sie hatte mir alle möglichen Ehren zu erweisen, vor mir im Staube zu kriechen und für die Erfüllung meiner unvernünftigen, maßlos selbstsüchtigen Wünsche zu sorgen. Ich wollte sie, die Unzählbare, zwingen, das für absolut wahr zu halten, was ich, der törichte einzelne, ihr vorzudeklamieren wagte. Ich verbot ihr, anders zu denken, zu fühlen und zu tun als ich. Ich dünkte mich, das Muster, das Vorbild zu sein, dem sie in allen Dingen, irdischen und überirdischen, nachzustreben habe. Kurz, ich gebärdete mich als Summa aller vorhandenen Klugheit und Gerechtigkeit und rasselte sofort mit Säbeln, Flinten und Kanonen, wenn irgendein anderer die Kühnheit besaß, mir zu sagen, daß ich verpflichtet sei, auch seine Menschenrechte anzuerkennen! Das habe ich nun sechzig Jahre lang getrieben und mich von niemand irremachen lassen. Kein Kaiser und kein König hätte mich überzeugen können, daß ich unrecht habe. Da kommt ein arabischer Eseltreiber und entwickelt sich vor meinen Augen zum lebenden Vorwurf seiner ganzen Rasse. Ich kann den stolz auf mich gerichteten, vorwurfsvoll fragenden Blick dieses Mannes nicht aushalten, muß ihm ausweichen, mich mit dem meinigen verkriechen! Zu ihm gesellt sich ein Chinese, ein zopfiger Kerl, von dem ich glaubte, ihn nicht einmal erreichen zu können. Aber schon nach wenigen Stunden stellt sich heraus, daß er mir über ist, in allen Dingen über, ganz besonders aber in Hinsicht auf die Höflichkeit und Rücksichtnahme, die wir allen Menschen schuldig sind. Er schlägt mich Wort für Wort und Tat für Tat, und zwar ganz unbegreiflicherweise so, daß ich ihn nicht etwa dafür hassen, sondern liebgewinnen muß und obendrein ihm auch noch dankbar bin! Dieser Tsi ist doch, fast möchte ich sagen, das Ideal von einem Menschen! Was mag da erst sein Vater für eine Persönlichkeit sein, sein Vater, der jedenfalls noch reiner Abgeklärte, der einer der hervorragendsten Leiter der ‚Shen‘ zu sein scheint!“
Er machte eine Pause, um einen Schluck Wasser zu nehmen und dann fortzufahren. Da sagte Raffley:
„Ihr seid mit Euren Bekenntnissen noch nicht fertig, dear Uncle. Ich weiß, Ihr wollt den Malaien auch noch bringen. Aber bitte, quält Euch nicht weiter,
Weitere Kostenlose Bücher