31 - Und Friede auf Erden
unzertrennbar zusammenzugehören, und der Gedanke, daß sie einander früher nicht gekannt hatten, wollte mir mit jedem Tag fremder werden. Man spricht von Seelen, welche sich, und seien sie räumlich noch so weit getrennt, ganz unbedingt auf Erden finden müssen, von Wesen, welche einst vereinigt waren und sich wieder zu vereinigen haben. Wer kann wohl sagen, ob das ein Aberglaube sei?
Es ist gewißlich wahr, daß um Genesende sich eine Atmosphäre bildet, welche ethisch reinigend und veredelnd wirkt. Es gab an Bord, selbst unter der Schiffsbemannung, keinen einzigen rohen Menschen, und doch fühlte jeder von uns in sich das Streben, recht lieb und gut zu sein, als ob er es bisher noch nicht gewesen wäre. Ich sah einmal ein Gemälde, welches einen Rekonvaleszenten zeigte, hinter dem, von ihm und seiner Umgebung ungesehen, ein Engel stand, welcher sie alle segnete. Der Künstler hatte es verstanden, der von mir erwähnten Erfahrung so, wie die wahre Kunst es will, Gestalt zu geben. Eine solche segnende Engelshand schien auch über uns zu walten. Wir sahen sie nicht, aber ein jeder wußte, daß der warme, weiche und allen bemerkbare Hauch der Liebe und des Friedens von der Stelle ausging, an welcher der im Rauch und Qualm und Ruß des brennenden Tempels verschwundene Geist durch einen neuen, friedlich denkenden ersetzt werden sollte.
Was habe ich da gesagt! Ein Geist sei zu ersetzen! In einem und demselben Körper! Durch einen neuen, einen vollständig andern!
Diese Gedanken beschäftigten nicht nur mich, sondern auch Raffley und den Uncle. Den letzteren ganz besonders, weil es ihm als unmöglich erschien, sie zu begreifen. Er kannte nur die veraltete Ansicht der Psychologen, daß jeder Mensch einen ganz besonderen, nur ihm zugehörigen und also durchaus individuellen Geist besitze, den er nicht eher als nur erst mit dem Tod ‚aufgeben‘ könne. Er wußte zwar, daß es Tausende und aber Tausende von Menschen gegeben hat, die anderen Sinnes, also anderen Geistes geworden sind, war aber überzeugt, daß diese Änderung mit dem alten, bisherigen Geist vorgegangen sei, nicht aber darin bestehe, daß sich ein vollständig anderer und neuer eingestellt habe. Er sagte da:
„Das wäre ja eine wunderbar praktische und höchst vortreffliche Einrichtung, wenn sich jeder Mensch nach Belieben einen neuen Geist besorgen könnte, so ungefähr zum Beispiel, wie man sich eine neue Uhr in die Tasche steckt, wenn man sich auf die alte nicht mehr verlassen kann, weil sie nichts mehr taugt!“
Da lächelte Tsi, der bei uns saß, den lieben Alten von der Seite an und fragte:
„Ist Ihnen vielleicht die chinesische Erzählung von der Taucherinsel ‚Ti‘ bekannt, Mylord?“
„Nein“, antwortete der Governor, welcher nicht wußte, daß ‚Ti‘ das chinesische Wort für ‚Erde‘ ist. „Was ist das für eine Insel? Kenne sie nicht. Können ihre Bewohner etwa ihre Geister wechseln und ersetzen wie wir unsere Uhren?“
„Nein; ebensowenig wie wir. Ob gewechselt werden soll, darüber haben natürlich nicht die Körper, sondern die Geister zu bestimmen. Ich will mich ganz und gar populär ausdrücken: Hat etwa die Uniform zu befehlen, wer sie anlegen soll und wer nicht?“
„Nein!“
„Nun, diese Uniform ist der Menschenkörper! Wenn er glaubt, dem Geist Vorschriften machen zu dürfen, so irrt er sich. Die Insel ‚Ti‘ liegt mitten im großen Weltenmeer. Sie wird von einem Fürsten regiert, welcher jedem seiner Untertanen eine bestimmte Lebensaufgabe stellt, die er zu lösen hat. Diese Untertanen sind Taucher, welche in die Fluten zu steigen haben, um die verschiedenen Schätze des Meeres an das Tageslicht zu heben. Zu diesem Zweck gibt es eine unzählige Menge von Taucherrüstungen, welche menschliche Gestalt besitzen. Jede dieser Rüstungen wird von einer in ihr wohnenden, sogenannten Anima instand gehalten, welche mit ihr entstanden ist und mit ihr wieder untergeht. Die eine Rüstung eignet sich mehr für diese, die andere mehr für jene Arbeit. Mit der einen können edle Perlen, mit der anderen nur Schwämme, mit der dritten gar nur Algen oder gemeiner Tang der Flut entrissen werden. Jede von ihnen wird demjenigen Taucher anvertraut, für dessen Aufgabe sie geeignet ist. Die Arbeit wird überwacht, sehr streng, viel strenger, als die Taucher meinen, obgleich die Regierung eine Regierung der allergrößten Liebe ist. Aber grad weil diese Liebe alle umfaßt und sich nicht nur auf einzelne richtet, ist diese Strenge
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