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31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Stunden ohne Bedauern Abschied von ihr nahmen. Raffley hatte einige Depeschen an das Land besorgt. Auch von Tsi war dem Boten eine mitgegeben worden. Wohin sie telegraphiert hatten, das hielten beide gleich geheim. Tsi wahrscheinlich an seinen Vater, dessen Stand und Namen er nicht wissen lassen wollte. Niemand fragte, wohin es von hier aus ging, und Raffley sagte nichts. Der Kompaß aber ließ uns sehen, daß wir nach der Fokienstraße dampften.
    Der Regen hörte, als ob er uns nur Hongkong habe verleiden wollen, sehr bald wieder auf, und im Laufe des Nachmittags beruhigte sich die See, so daß wir nach der bewegten Nacht einen schönen, stillen Abend hatten. Als wir nach dem Souper vom Tisch aufstanden, gesellte sich Tsi zu mir und teilte mir mit, daß er noch gestern abend Veranlassung gefunden habe, dem Kranken die zweite Strophe vorzulesen. Mary hatte das, während sie in der Nacht bei ihm wachte, einigemal wiederholt, und hierauf war Waller über den ganzen Tag hin damit beschäftigt gewesen, immerfort unhörbar vor sich hin zu sprechen und zwischenhinein vor sich hin zu lauschen, als ob er auf eine Antwort höre. Infolgedessen vermutete der Chinese, daß für die kommende Nacht etwas Interessantes zu erwarten sei, und er fragte mich, ob ich mit ihm wachen wolle. Ich war ganz selbstverständlich sehr gern bereit, es zu tun. Tsi meinte, daß jetzt im Innern des Kranken eine heiße Schlacht geschlagen werde, welche der bisherige Beherrscher, der Hyperglaube, zu verlieren habe. Denn nichts sei so schwach als grad dieser Überglaube, der alles nur Gott, nichts aber der Arbeit an sich selbst verdanken will.
    „Der gesunde Glaube macht stark“, fuhr er in seiner Rede fort; „der Hyperglaube aber macht nicht stark und auch nicht schwach, weil das letztere unnötig ist, denn er ist ein geradezu untrüglicher Beweis der vorhandenen geistigen Schwäche. Diese Schwäche ist so groß, daß sie träumt, sie habe Gott in allen Taschen und könnte jede beliebige Quantität des Himmels an andere Menschen verteilen, natürlich gegen großen Dank und bewundernde Verehrung seitens der Empfänger! Denken Sie nicht, daß ich mich auf Besonderes beziehe; ich spreche im allgemeinen. Wir haben in China Bonzen, welche derartig mit ihrem eigenen Öl gesalbt sind, daß man sie nicht fassen kann, obgleich man sie in ihrer ganzen nackten Blöße sieht. Und meinen Sie auch nicht, daß ich mit dem Wort Bonzen etwa nur Geistliche bezeichne. Priester Gottes müssen sein; die Menschheit kann sie nimmermehr entbehren. Und je mehr sie in der Erkenntnis Gottes fortschreitet, desto größer wird die Zahl und auch der Einfluß dieser Priester werden. Heil und tausendmal Heil dem Volk, welches soviel wahre Gottespriester besitzt, wie es fromme Väter hat! Aber der Hyperglaube macht sich meist im Laienvolk breit und tritt grad dort am anspruchsvollsten auf, weil der Laie glaubt, wenn er nur selbst recht salbungsvoll zu sprechen und zu blicken wisse, so könne er den Priester ganz entbehren. Das ist die Laienfrömmigkeit, die sich über jedes Gotteshaus und Gotteswort erhaben dünkt und, wenn sie einmal guter Laune ist, in den selig atmenden Busen greift, um dem Himmel ein möglichst öffentliches Bakschisch anzubieten!“
    Da konnte ich mich nicht halten; ich mußte ihn fragen:
    „Wo nehmen Sie, grad Sie, diese Gedanken her?“
    „Von unsern Vätern!“ antwortete er sehr ernst. „Sie haben von Generation zu Generation gedacht, und was sie dachten, wurde uns vererbt. Wissen Sie, was ein Gedanke ist? Wissen Sie, daß er ewig ist, daß er nie verschwinden kann, sondern sich von Geschlecht zu Geschlecht, von Kopf zu Kopf immer weiter entwickelt, immer klarer, immer wahrer, immer mächtiger wird, bis endlich seine Zeit kommt, in der ihm niemand widerstehen kann? Solche Gedanken haben wir, und solche Zeit ist jetzt! Grad weil wir ruhten und uns jahrhundertelang alljährlich einmal rund um die Sonne tragen ließen, ohne zu glauben, daß die übrigen Völker der Erde uns darum bewundern müßten, haben wir Muße gehabt, die Gedanken unserer Väter von Sohn zu Sohn, von Enkel zu Enkel immer mächtiger werden zu lassen. Es sind stille, liebe, hoffnungsfreudige Gedanken, noch nicht in Worte gekleidet und noch nicht in Taten ausgedrückt; aber diese Worte und diese Taten werden kommen, vielleicht von uns selbst, vielleicht von Fremden angeregt, und dann werden wir und dann werden auch die Fremden sehen, daß, was die Väter dachten, nicht auf die Söhne

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